beauté

@05 Lauftext:
Vive la beauté

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe:
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!

Ach, er möchte wie ein Quell versiegen,
Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen
Und den Tod aus jeder Blume riechen:
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!

(August von Platen. 1796-1835)

So lasst uns nun singen von der Schönheit möchte man beginnen, und es
wird nicht einfach sein zu diesem so großgefassten Begriff, einem der in
der Kulturgeschichte wohl am höchsten ausgeformten menschlichen Ideal,
denn nur wo Menschen walten, ist die Schönheit erkannt. Der Mensch hat
sie in seiner 2,5 Millionen Jahren auf diesem unseren Planeten
definiert, aus welchen Beweggrund, die gilt es im Folgenden, neben so
vielem anderen zu ergründen, und wir wollen uns anschicken, dem Genüge
zu tun, unsere Betrachtungen über die Schönheit in Form zu gießen, ein
Stück Detektivarbeit also, an deren Ende vielleicht sogar ein Fazit
stehen wird – aber wollen wir nicht vorgreifen, wollen uns einlassen auf
eine Suche, die uns rund um den Erdball führen wird und in der Zeit
reisen, über Jahrhunderte, immer nur auf der Suche nach Schönheit – eine
eigene Ästhetik definierend: da wäre die Venusfigur, genannt die von
Willendorf, aus der jüngeren Altsteinzeit, dem Jungpaläolithikum eine
etwas beleibte Dame kleineren Formats, aus der Jungsteinzeit stammend
und wohl das damalige Schönheitsideal definierend, eine fruchtbare
Muttergottheit mit überdimensionierten Hüften und Brüsten, ein wahres
Meisterwerk, denn seltsamerweise definiert sich die Schönheit seit
Jahrhunderten am weiblichen, ein Umstand, der wenig verwunderlich ist,
den es hier aber zu entkräften gilt zu späterem Zeitpunkt. Wollen wir
uns also folglich zunächst bescheiden mit der Feststellung, dass da ein
Künstler waltet mit einer konkreten Vorstellung von dem, was er als schön
empfindet, hier fast Bewusstsein Vorstellung, hier wird Wunsch zum
Ideal, und ähnliches widerfährt den steineren Wänden der Höhle von
Lascaux, denn dorthin geht geschwind-geschwind schon die Reise, in die
Dordogne, ins Tal de Vézère, zwei Kilometer südlich von Montignac. Hier
ist es, dass ein Künstler vor 17000 Jahren die wohl anmutigsten
Jagdszenen und Tiermalereien in Szene setzt, die die Menschheit kennt,
ob aus kultischen Gründen oder schierer Lust an der Dekoration wird sich
nicht ergründen lassen letztlich, aber wir können erkennen, im
Fackelschein der Zeit wohl, dass der Schönheit immer kultisches
innewohnt bis in unsere Gegenwart, doch halt! Nicht so schnell. Ist es
denn nicht ein Zeichen von Intelligenz, etwas greifbar werden zu lassen
und recht eigentlich ins Leben zu rufen, aus der Geisterwelt vielleicht,
ein Anzuschauendes also, das in Mesopotamien in den Kulturen von Ur und
der Keilschrift sowie den erhaltenen sumerischen Grabstelen eine weitere
Ausprägung findet, um dann, Jahrhunderte später, am Nil eine immer noch frühe
Blüte findet, in Ägypten, das, wie Egon Friedell in seiner
„Kulturgeschichte Ägyptens“ bemerkt, über 3000 Jahre hinweg nur mit dem
Wirtschaftssystem des Tauschhandels existiert hat, weswegen heutige Aktien und
Geld als offenbar völlig unnötig erachtet werden können… aber wir
schweifen ab. Da wären die Pyramiden, ein wohl an asketischer Schönheit
in der reinen Form unerreichtes Zeugnis von geometrischer
Ausgewogenheit, das bis auf den heutigen Tag, wer wolle es leugnen wenn
es denn gelingt, die Fellachen von ihrem Souvenirverkauf und
Bakschischwunsch abzubringen für einige Minuten in Gizeh (wobei das Nile
Hilton direkt am Nil sehr zu empfehlen ist), einzig vielleicht
übertroffen vom Tempel de Hatschepsut… – nun sind wir schon in Luxor, im
Tal der Königinnen – ein Gebäude mithin, in drei Terrassen aufgeteilt,
das direkt auf der Achse des Tempels von Karnak gelegen ist und seltsam
an eine New Yorker Privatbank erinnert, vielleicht durch die
unnachahmliche Anordnung der Säulenreihen und der Darstellung der
Expedition von Punt, die die junge Königin, wohl nubischen Ursprungs und
also schwarz, ausrichten liess. Dass Hatschepsut eine Schönheit war,
wird niemand verwundern, der pharaonische Heiratsgepflogenheiten
studiert hat, denn natürlich nahm sich Pharao eine Schönheit zur Frau,
und es ist schon sehr eigenartig, dass der abtrünnige Echnaton samt
seiner Gattin Nofretete in seinen Abbildern das Auge in seiner
überfeinerten Eleganz vielleicht tiefer erfreut als vergleichbare
Kolossalstatuen des Ramses erfreut.
Und dann – ach! – Griechenland, 700 v. Christi Geburt, und wieder ist es
Friedell, der in seiner „Kulturgeschichte Griechenlands“ für das Streben
der Dorer nach Schönheit vor allem dem Licht, der über Hellas
strahlenden Sonne die Schuld gibt, und was schafft nicht Griechenland
unübertroffen an Ästhetik in die Welt, an Vasenmalerei und luftigen
Tempeln und – man muss es sagen, an Skulpturen und Menschenantlitzen in
strahlendem, weissem Marmor (der tatsächlich bunt bemalt war), von den man
den besten Eindruck entweder im Louvre zu Paris vor der Nike von
Samothrake einen guten, in der Statuenhalle des Metropolitan Museum in
New York einen besseren Eindruck zu gewinnen imstande. Es bleibt zu
bemerken, dass die Dargestellten, etwa der Apoll dort, in blond gedacht
war, denn so sahen sie aus die Dorer, hellhäutig und eben nun dem
attischen Lichte ausgesetzt, das sie zu Gesetzgebung und Geometrie, zu
Seeschlachten und Philosophie brachte, zu Praxiteles schliesslich, dem
Baumeister des Parthenon und Perikles, seinem Auftraggeber. Das
Mausoleum von Halikarnassos, das Grabmal des Mausolos ist hier zu
nennen, nicht ohne Grund eines der Weltwunder, und der Betrachter
damals mag so etwas wie Nähe zu den Göttern empfunden haben, der Sinn
der Schönheit nach Überzeugung des alten Griechenlands, und nicht
umsonst rufen die Vasenbildner auf ihren Darstellungen von Athleten
immer wieder „Kalos, Kalos“ aus, ja, er ist schön! Es darf angemerkt
sein und es sei dem Autoren dies Abschweifung erlaubt, dass die
körperliche Schönheit vielleicht im Adel auftretender Epheben jener Zeit
eines der gerühmtesten Ideale des Altertums ist, und man mag sich dem
Vorwurf der Rennaissance ausgesetzt sehen, dass es hier eben die
männliche Schönheit ist, die ihre vielleicht höchste Ausprägung in der
Menschheitsgeschichte hat, von den Darstellungen einer Leni Riefenstahl
– die ich sogar gekannt – und ihr folgend eines Bruce Weber einmal
abgesehen, aber wir greifen vor. Dennoch sei die Kylix aus dem fünften
Jahrhundert vor Christus erinnert, weissgrundig die Aphrodite auf einer
Gans reitend zeigend, im British Museum zu bestaunen – da war ein
Meister am Werk.
Zunächst also zu Kaiser Hadrian, der im reiferen Alter in den Hainen
Bythiniens jenen Jüngling namens Antinoos erblickt, der ihn nach dessem
tragischen Tod im Nil – bis heute hält sich die Theorie, der Junge hätte
sich aus Liebe geopfert um dem Kaiser lange Regierungszeit zu erflehen –
als letzten Menschen de Geschichte zum Gott erklären lässt, nachdem er
unzählige Bildnisse in Auftrag gibt, von denen uns eine der schönsten im
Alten Museum zu Berlin stolz entgegenblickt. Und da ist sie, die
Vermählung von Schönheit und Liebe, die in der Liebe zu Gott sich dann
in byzantinischen Mosaiken Ostroms hohe Eleganz entwickeln wird, wie im
Gold der Skythen oder etwa dann, na einem unerklärlichen Rückfall der
darstellenden Kunst im tiefen Mittelalter – wie stümperhaft nehmen sich
die Schlachtszenen im Teppich von Bayeux aus, die König Harald in seiner
ersten und letzten Schlacht gegen die Normannen im Jahre 1066, der
Schlacht von Hastings zeigen! Majestät sterben übrigens durch einen
Pfeil ins Auge, doch das ist eine andere Geschichte, die an anderer
Stelle Erwähnung finden muss. Und ja, wir springen in der Zeit, weil
Westrom nach dem Ansturm der Barbaren nur noch aus entvölkerten Ruinen
besteht und die Tage von Julian, dem letzten Verfechter der alten
Gottheiten gegen das konstantinische Christentum ein letztes Aufbäumen
findet (wie man im gleichlautenden Roman meines Brieffreundes Gore Vidal
lebendig nachvollziehen kann) gezählt sind schon des längeren. Solche Ausprägung lässt sich erst wieder
bei Raphael finden und auch die Holbeins, älterer wie jüngerer möchten
genannt sein, als der Mensch endlich wieder in das Hauptaugenmerk der
Kunst gerückt ist, dies vielleicht der wertvollste Beitrag der sich über
die Alpen ausbreitenden Renaissance, wobei die zuvor stattfindende Gotik
in Frankreich nicht ausgelassen werden darf und eben auch dem heutigen Zeugen zu Recht als schön gilt – warum bloß baut man wie in Vollendung in Chartres,
allerorten Kathedralen? Noch zum höheren Ruhme Gottes… Dann also
betritt mit Petrarcas Sonetten an seine Geliebte der Mensch wieder die
Bühne des Daseins in der Kunst, so wie er sie in der Anschau der
Philosophen wieder erringt. Der wunderbare Jüngling eines
Marmorreliefs aus dem 16. Jahrhundert (Victoria & Albert Museum) ist da
schon reifer, ein selbstbewusster Mann ist im Profil zu sehen, und schon
bald ist die Bühne frei für La Gioconda, die Mona Lisa, die hier
freilich nicht fehlen darf, ebenso wenig wie die schaumgeborene Venus
von Sandro Botticelli (1445 – 1510). In Persien geraten die Miniaturen
ans Licht, in China das Porzellan (hier darf ich auf meinen Roman
porcella hinweisen, wer wollte es mir verdenken, Plöttner Verlag,
Leipzig 2010), überall auf dem Erdenrund formt der Mensch, und immer ist
da der Wunsch, dem Auge zu gefallen. Thomas Mann schreibt, ich glaube in
seinen Tagebüchern (S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1977) über die
Leichtigkeit, mit dem ein Gesicht aus den Fugen geraten kann, das gerade
noch durch seine Anmut bestach, einfach, weil es sich verändert, aber
vielleicht erwähnt er es auch an anderer Stelle, was für uns hier ganz
einerlei ist: Immer will der Mensch eigentlich die reine Form, die
Reduktion auf das Ideale, und solcherart sind die Definitionslinien, die
der Schönheit den Weg weisen und sie umgrenzen. Dass sie dadurch auch
immer sich selbst ähnelt, mag man der modernen Bilderflut aus Mode und
Werbung entnehmen, die täglich auf uns einstürmt, und ich bin der erste
zuzugeben, dass mir der Schwarm von aus der Kehle schreienden Blondinen
ununterscheidbar untereinander, ein steter Strom des Wunsches im
Beschauer, sich des Göttlichen zu versichern, dergestalt, dass da wo
Schönheit waltet, die Welt noch nicht am Ende sein kann, die große
Verführerin, und ja, ich betrachte meine Muse gern und werde inspiriert
zu Dingen wie diesem hier, und bin´s zufrieden.
HARALD NICOLAS STAZOL

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