Die ersten Manager gab es im Jahr 1870, sie wurden in London ausgebildet und es handelte sich um Männer, die beim Zirkus arbeiteten. Das erfahre ich vom Verfasser des „Bilderbuchs für Manager“ am Stand der F.A.Z., quasi in Hörweite einer ganzen Gruppe von Verlagspersonal. Niemand lacht. Zwei Fussballer ballern ihren Blödsinn in den Markt. Ein Boxer. An allen Enden wird gekocht. Aber ein Geheimtipp? Etwas, was man unbedingt lesen muss? Ich habe nichts gehört. Nichts gesehen. Irgendwelche dicken Chinesen sitzen irgendwann in einer Staatskarosse und rasen irgendwo mit Blaulicht und Motorradeskorte aufs Messegelände. Frankfurt im Oktober, es ist Messezeit, und alle gehen hin. Sogar Chinesen. Im Hessischen Hof sitzen zwei ältere, sehr blonde Italienerinnen und sorgen sich. Ich beschliesse, es zu wagen, die Messe, nach all den Jahren.
Ich erhalte sofort ein Pressekarte, damit fängt es an. Jürgen Neffe, der Einstein-Biograph, steht vor mir in der Schlange und hat seine verschmissen gestern und braucht ne neue, ich lege einfach meinen Roman hin und im Buchrücken das Autorenfoto, da steht ja, dass ich Journalist bin. Ob ich zu Neffes Lesung komme, will der Biograph wissen, bedauere, lese selber um 17 Uhr, gutes Gefühl. schliesslich ist der Kunstverein am Römer ne ziemlich erste Adresse und überall hängen die Plakate der Veranstaltung Open Books, da ist auch mein Name zu sehen, in Achtpunktschrift und mit 60 anderen Autoren, immerhin. Dass ich schon mit 16 träumte, hier einmal lesen zu dürfen, es sei zumindest gesagt, mein Freund Bos meinte darauf, was ich denn damals schon für kluge Träume gehabt hätte. Die Rolltreppe hinab, natürlich werde ausgerechnet ich am Eingang kontrolliert. Mann, wo ist eigentlich mein silbernes Tiffanydöschen, und was war da noch drin? Ein ziemlich hübscher, junger Polizist bittet mich höflich, den Laptop aus der Tasche zu holen, und als nur noch vier Schachteln Davidoff zum Vorschein kommen, sagt er leise „aber wo ist denn nun meine Bombe?“ Ich weise auf Porcella und sage, da ist sie, er, Sie sind Harald Nicolas Stazol? Ich, ja. Ein Höhepunkt, ganz zu Anfang, da hab ich noch nicht mal meinen Mantel abgegeben.
Weitere Highlights? Nun: Rudolf Steiner wird 2011 150 Jahre alt, ich dachte, der wäre tot, nun prangt er auf einer Säule oben in Halle 3.1 und blickt über die Massen hin. Rollkoffer über Rollkoffer, Männer, die hetzen, Frauen, die flitzen, und ja, überall dieser Blick: Was wohl als nächstes kommt? Hörbuch, Ebook, noch weniger Umsatz? Die Veranstalterzahlen sind rückläufig. Bei Steidl kostet ein Prachtband 7800 Euro (siebentausendachthundert, echt) – doch dazu später mehr. Sie sind ein eigenes Völkchen, die Messebesucher, die Verlagsleute, sie waren es immer und vielleicht ist ja mein Auge ungeübter geworden oder ich abgeklärter oder es hat sich wirklich viel verändert. Früher jedenfalls wurde mit Kaffee nicht gegeizt und Lachshäppchen sehe ich nirgendwo. Vielleicht ja bei Hoffmann & Campe später. Egal. Schön sind sie jedenfalls nicht alle, die Menschen hier, obwohl mein Verleger doch einige nette Damen bemerkt haben will. Er wird später sagen, das Äussere sei vor der Literatur nachrangig. Er hat wohl recht. Die Messe aber auch Laufsteg. Eine Dame im Gartencafé im Bouclé von Chanel, auffallend. Ich denke an den Polizisten. Na gut, Llosa´s verdienter Nobelpreis, da stauten sich die Leute am Suhrkampstand, aber jetzt, in der Rückschau, nach Kilometern des Umherirrens, Rolltreppe hier, Laufband da… Ich habe Bilder gesucht, denk ich später, wie war das noch, 2001, Jelzin, Tom Wolfe, Gore Vidal, die Ullmanntochter, auch am Abend dann Menschentrauben in der Bar des Frankfurter Hofs, wo Döpfner mit den Hunderten wedelte und Schirrmacher sagte, man brauche noch nen Harry Potter und Illies den Millionenvorschuss kriegte, für Golf II. Aber nun? Eine Sofaecke ist frei, ich dirigiere Verleger, Lektorin (sie hat versprochen, morgen mein Tuch zu tragen) und die junge Dame vom Vertrieb dorthin, ich bestelle Tomatensaft neben einer mannshohen chinesischen Vase und denke an die Literatur. Ich sah nichts, was mich interessiert hätte. Und ich lese echt ne Menge. Ildiko von Kürthy ist die Erstgenannte auf dem Messeplakat am Bahnhof, soweit kommt es, wenn man Blödsinn für Alleinstehende schreibt. Klitschko ist auch genannt, welcher, weiss ich nie, Ralf König, der schwule Comiczeichner, naja. Am Abend sage ich noch, nicht einmal klauen hätt ich ein Buch wollen. Roland Koch hat eins raus,“Konservativ“ heisst das und die Seiten sind bleiern, ich suche für hier nach einem Zitat, aber tät ich´s zitieren? Man glaube mir, es lohnt nicht. In der Presselounge Halle 6.2 gibts nicht mal Sofas, nur Papierboxen als Hocker, es ist skandalös. Die Stände sind viel kleiner geworden, vorbei die haushohen Pavillons von Random House und Co. Thomas Middelhoff, der Bertelsmann-Vorstand, hielt damals Hof, ein Master of the Universe, jetzt ist er geächtet und fast schon ein Schurke, zumindest soll Liz Mohn seine Rolle überdenken, was bei ihr, und ich habe sie erlebt, wohl schon ne Leistung ist. Die Luft ist immernoch zum Schneiden, aber all die tollen Leute, dich ich kannte, sind wohl in Pension oder gefeuert oder einfach woanders. Dafür gibt es gleich zwei Bücher von Olli Kahn, „Ich“ heisst eins, das andere hab ich vergessen, nein, hab ich nicht, es heisst „Ich wieder“, prosaischer geht es ja wohl nicht. Sportler, selbst wenn sie schreiben lassen… Einen Satz habe ich mir gemerkt: „Wer erfolgreich sein will, der muss sich verändern“ – Wahnsinn, Olli. Dass ein „Freund“ von Robert Enke aus der Tragödie Profit schlagen will und allen Ernstes Dialoge widergibt, die er gar nicht gehört haben kann, das macht schon nachdenklich. Ernstzunehmen: Der Erlebnisbericht von Madame Betancourt über ihre Geiselhaft im südamerikanischen Dschungel.
Warum die Architekten der Messehallen nur Bänke ohne Lehnen und ganz wenige mit auf die Terassen gebaut haben? Sogar die Stehtische sind heissumkämpft. Eine ältere Dame will mir ihr Buch über Hopis vorstellen, es sei drinnen ja ganz anders als auf dem Cover, und ich finde, damit spricht sie eine Wahrheit ganz gelassen aus. Später, als ich im Kunstverein um mein Leben lese, was nicht einfach ist, weil die Ausstellung geöffnet bleibt und manche einfach reinkommen und wieder gehen, nun ja, da wird mir erst die ganze Wahrheit offenbar. Zum Glück krieg ich noch ne aufmunternde SMS, meine Muse ist modern. Das ist der Donnerstag.
Freitag? Sarrazin isst sein Würstchen, umgeben von acht Bodyguards. Wickert sieht aus wie ne hohe Leiche. Petra Gerster zieht sich die Lippen nach, bei Fischer oder Rowohlt oder wo auch immer. Elke Heidenreich wurde gesichtet, naja. Irgendwann geht Steinbrück über den Platz, er hat nur einen Guard nötig, und ich denke an die Massanzüge von den Jungs von Rolf Heyne, die bringen den Helmut Kohl Bildband raus und einen über Joops Wunderkind, was ja dann auch irgendwie das Gleiche ist: Kasse. Dann sitze ich am Stand von NEUES DEUTSCHLAND, krieg schönmachenden kalten Kaffee und versuche mit Porcella zu zirzen. Das Cover, sagt sie, findet sie schon mal gut. Ja, und drinnen, da gehts auch so weiter. Dann Lagerfeld bei Steidl erworben, der Bilder von seiner gequälten Muse Baptiste macht, The beauty of violence, sind die schmerzverzerrten Gesichter Allusion auf höchste Lust? Taschen hat „Das grosse Buch des Penis“ im Angebot, das musste nun wohl wirklich nicht sein. Ken Follett hat 14 Millionen Dollar Vorschuss für eine Trilogie bekommen und Sarrazin soll dann um 14 Uhr auf dem blauen Sofa sein. Einer wird kläglich Buh rufen, Sarrazin selbst sagt, es gäbe wichtigere Literatur als sein Buch. In der Tat. Sollte ihn dennoch mit einer Porzellantasse bewerfen, wäre aber Verschwendung. Jedenfalls wird bis zum Abend auch im Messebus über ihn gesprochen.
Ach eins noch. Ein Bändchen, ja, bei Steidl. Eduard von Keyserling, „Landpartie“, ja, und Karl hats illustriert. Steidl selbst soll der einzige Verleger sein, der weiß, wann die Pariser Schauen sind. Und den Kittel, den weissen, nur noch im Verlag tragen. Wo war ich? Das Bändchen jedenfalls – wie meins: Ganz bezaubernd. HNS