ARMAND in Las Vegas
Vom Parkdeck des Casinos fliegt in hohem Bogen eine Bierflasche und es ist klar: Rockabillys sind harte Typen. Die Sicherheitskräfte vom der Spielhölle sind noch härter: Kaum sind die ersten Scherben auf dem Beton verteilt, rasen sie los aus der Ecke ihres Hauptquartiers gleich neben dem Eingang, und eine Passantin schreit „ich hab´s genau gesehen, der Junge mit den Tattoos war´s”. Was die Sache nicht gerade leichter macht: Hier sind fast alle tätowiert. Brüllende Hitze, obwohl die Wüstensonne schon lange hinter der Sierra Nevada verschwunden ist. Karfreitag in Las Vegas, 11 Uhr nachts und 38 Grad.
Von überall her sind sie gekommen, die Jungs, die aussehen wie Elvis Presley oder Little Richard, die Mädchen, auch sie tätowiert, auf den Brüsten, den Oberarmen, den Beinen, „die prügeln sich auch gern, die Girls” hat vorhin ein Taxifahrer gesagt. Petticoats haben sie an und die Frisuren zu Lampenschirmen betoniert, schwarzgefärbt sind die Haare bei fast allen, ein blonder Rocker, das wußte schon der King, ist ein toter Rocker. Sie haben Messer in den Taschen und scharfe Gegenstände in den Ohren, manche die Lippen durchstochen, sie mögen harte Drinks und noch härtere Sprüche, und wenn es drauf ankommt, dann fliegen die Fäuste. Oder eben mal die Bierflasche: Rockabilly ist ein Lebensstil.
Ein harter Stil: »Wir sind ihn leid, den ewigen Soap-Opera-Scheiß”, schreit Andrew auf dem parkdeck ins Mikrofon einer lächerlichen Verstärkeranlage, „hier geht es um´s wahre Leben.” Rockabilly ist Protest, hey, hier können die Männer mit Flaumbart richtig Gas geben, und natürlich gehört zu einem Rockabilly seine Rockabilly-Braut und sein Rockabilly-Car. Wie im Comic sieht es au, das typische Auto, hier auf der Betonfläche sind alle in reih und Glied geparkt, gewienert der Chrom, und auf billigen Camping-Klappstühlen aus den Fünfzigern sitzen sie da, die harten Männer mit den Riesentollen, und trinken Bier, Bier, Bier. Und wenn es aus ist, das Bier, dann werden die Frauen losgeschickt, neues holen. Und die gehen, ohne Murren, in ihren Petticoats, durch die Wüstensonne Nevadas, hin zur nächsten Tanke, oder ins Hotel, und holen Sixpacks — das Auto kriegen sie nicht, das chromglänzende, wo denkt man hin, das muß ja in der heißen Sonne stehen und blitzen und den anderen Rockern ein Vorbild sein, für den Lebensstil, den sie alle haben.
Sie ist ein Brennglas, die Szene, und in Nevada am Karfreitag wird das gerade besonders deutlich: Sie stehen für das Amerika, das einmal war, als die Vorgärten noch in Ordnung waren und das Camping gerade entdeckt war, als Eisenhower Präsident und der Mond noch unbemannt über den Himmel ging. Als die Schwarzen in den richtigen Vierteln wohnten, denn natürlich ist kein junger Rockabilly schwarz, nur einige Mexikaner werden geduldet, und spät in der Nacht eine Originale Band, die XXX, alte Herren, denen man unmöglich böse sein kann oder gar rassistisch gegenübertreten, bei dem guten alten Rock, den sie spielen.
Aber noch ist das Festival nicht in vollem Gang, dafür jagt Jack seinen Studebaker gerade im Leerlauf röhrend auf Hundert Meilen pro Stunde, „warte mal ab”, brüllt er, vor lauter Totenkopfringen kann er das Lenkrad kaum umgreifen, und das ist jetzt wichtig, weil er sich festhalten muß um besser das Gaspedal durchzudrücken, „schau mal zum Auspuff”, brüllt er jetzt, und wirklich, das schießen Flammen heraus, fast, wie bei einer kleinen Mondrakete, meterlange Flammen. Jack stellt den Motor ab und steigt aus dem Wagen. Er ist sehr klein und humpelt ein bißchen. Vielleicht schreit er ja deshalb dauernd rum und spuckt auf den Boden in seiner unten hochgerollten Jeans — die Haartolle verleiht ihm zwar mindestens fünf Zentimeter Körpergröße, aber richtig furchterregend sieht er immernoch nicht aus.
Aber richtig anlegen wollte man sich nicht mit ihm, und das wissen seine Freunde auch, die fachmännisch um die Auspuffgase herumstehen. Vorne, in der hochglanzpolierten Stoßstange, spiegelt sich Lina, Jacks Freundin, bis in Dekolleté hinein tätowiert und mit einem Gesichtsausdruck, als könne sie bis zu ihrem Ableben nicht mehr aufgeheitert werden. Sie hat die kleine Handtasche aus Plexiglas nicht ersteigern können, fünfzig Dollar waren einfach zuviel, und nun ist sie sauer. Während auf dem Parkdeck über Lautsprecher zwischen Flüchen, Rockbeats und dummen Witzen weiter Memorabilia, Kitsch und Schallplatten zum Verkauf geboten werden, sammeln sich keine zehn Meter entfernt an der Bar des Gold Coast Hotels die ersten Spieler vor den einarmigen Banditen.
„Welcome back” steht an dem riesigen Neonschild des Hotels am Flamingo Drive, über 3400 Fans sind aus aller Welt zusammengeströmt zum vierten „Viva Las Vegas”, und einer hat es organisiert: Tom Ingram, der Chef von „No Hit Rebens”, ein stiller, schmaler Mann, der aussieht wie eine Kreuzung von Elvis Presley und Billy the Kid. In Wirklichkeit ist er eine Legende.
ARMAND und David Mamet