Hamburg – die Nijinsky-Ausstellung im Hubertus-Wald-Forum

Man sucht den Bakst, von dem der Kunsthistoriker von vorhin nichts wusste und findet ihn und sein Blau und Gold, das Kostüm für l`après-midi-d`un faune. Man erinnert sich, dass die Uraufführung in Paris mit Claude Debussy am Pult (Die Premiere war am 29. Mai 1912 im Pariser Théâtre du Châtelet) unterging in den Schreien „un dentiste – deux dentistes“, weil der moderne Tanz dem Publikum Zahnschmerzen ähnlich sah – oder bereitete. Der Figaro schrieb von einem « faune incontinent, vil, aux gestes d’une bestialité érotique et d’une lourde impudeur » (von einem „Faun, der sich nicht zurückhalten kann, der von niederer Art ist, der Bewegungen erotischer Tierhaftigkeit ausführt und nicht die geringste Scham kennt“).

Als Strawinsky seinen Sacre du printemps im Tanzsaal in die Tasten hämmerte, riefen die Tänzer „il détruit le clavier“. Davon erfährt man nichts. Auch nicht, dass Nijinsky bei der Atlantiküberquerung als einziger in der Lage war zu üben, weil er mit dem Balancesinn des Jahrunderts ausgestattet, nein, gesegnet war: Er glich die Rollbewegungen des Schiffes einfach aus. Als eine gewisse Romula de Pulsky ihn das erste mal sah, wusste sie, er ist es. Die beiden heirateten tatsächlich, Diaghilew ertrank in Venedig bei einem Gondelunfall, obwohl er doch Wasser stehts gemieden hatte, weil ihm ein Astrologe den Tod durch ertrinken geweissagt hatte. Man sieht die Totenmaske des Tänzers, unheimlich, man liest von seinem späten Wahnsinn, man hört Klänge, freut sich und hofft auf alte Filmdokumente – und sieht sich dann doch nur der Neumeier-Inszenierung von, so glaube ich, 1998 gegenüber, die, ich war Premierengast, epochal, aber eben Neumeier war. Und man bemerkt, dass so ziemlich jedes Exponat, die Fotos, die Lithographien, die Zeichnungen, fast gänzlich aus der Neumeier-Sammlung stammen. Hamburg wird über ein Ballett-Museum nachdenken müssen.

HARALD NICOLAS STAZOL

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