XVIII. „Oh, when I was in love with you…“
by A. E. Housman (1859-1936)
Oh, when I was in love with you,
Then I was clean and brave,
And miles around the wonder grew
How well did I behave.
And now the fancy passes by,
And nothing will remain,
And miles around they’ll say that I
Am quite myself again.
… mit anderen Worten: Jetzt wird´s, sorry, sorry, persönlich. Die Verliebtheit, jene fragilste, schönste, vergänglichste aller Gemütsregungen, flüchtig, begehrt, dem Wahnsinn ähnlich, wer wollte sie beschreiben? Ich, wer sonst.
Eines wäre vorauszuschicken: Erstens bin ich ein Aristokrat preussisch-ungarischer Herkunft. Und zweitens Romantiker des 19. Jahrhunderts. Soll heissen, ich bin von Emotionen beseelt, die es heutzutage, im beginnenden 21.Jahrhundert, so gar nicht mehr gibt. Intensität, Dauer, Verfeinerung, Haltung, Treue, Stabilität, Vertrauen und Zartheit – all dies sind in der gegenwärtigen Gesellschaft, so scheint mir, Begriffe von nur noch nominalem Wert. Man verliebt sich nicht mehr, man sucht sich rational-kühl einen Partner, mit dem sich der Lebensentwurf möglichst ohne Einbussen und meist nur auf Zeit ökonomisch auf Zugewinn bezogen optimal verwirklichen lässt. Baudelaire, Flaubert, Jean Paul, Rimbaud, die Manns, die Brontes – vergessen Sie´s. Man fühlt heute nicht mehr, so scheint es. Es passt nicht ins Konzept der Wegwerfgesellschaft. Ich stehe auf verlorenem Posten, aber das bin ich gewöhnt – ein Leben als Rückzugsgefecht, heldenhaft, heroisch gar – aber sinnlos. Die folgenden Zeilen sind also womöglich nicht mehr ganz up-to-date. Ein tiefempfundenes Theorem. Was da klingt, sind die Saiten des Vergangenen. Wollen wir sie also versuchen, die kleine Reise ins Innerste, bodenlos Zeitlose, vernachlässigbar-Vergessene. Und wollen wir gnädig hinabsehen in den Spiegel eines Seelchens, dass sich da Ausdruck verschafft, ohne Anspruch auf Wahrheit. Doch wer sich darin womöglich erkennt, dem bleibt Hoffnung, soviel sei versichert. Glücklicher, dies als Einschränkung, glücklicher, wird man so nicht. Aber man hat es versucht. Und das ist heute schon viel. Der Hype des Sich-Verliebens – ein Entwurf.
Da wäre also diese Party, mein Geburtstag, etwa einhundert Gäste, mit anderen Worten, privat, eine kleine, feine Zusammenkunft interessanter Menschen, Künstler, Studenten, Wirtschaftskapitäne, Geschäftsleute, Hartz IV-Empfänger, kurz, ein buntes Gemisch. Und dann plötzlich er. Als Überraschungsgast, ein Mitbringsel gewissermassen – und das Herz setzt aus. Der Verstand auch. Er ist jünger, hübscher, na klar, als die anderen, und man ist plötzlich hin- und hergerissen zwischen den Gastgeberpflichten, dem strömenden Champagner, und dieser charmanten Erscheinung, die einem, man glaubt es kaum, das in völliger Verwirrung irgendwo abgestellte Glas holt, mit einem strahlenden Lächeln, ätherisch, bezaubernd, energetisch (da fliessen sie also, die Kräfte, abgesetzt vom ewigen Einerlei der turbokapitalischen Konsumenten mit ihren vorgeformten Sätzen, ihren langweiligen Überzeugungen, ihren immergleichen Themen, aber man mag sie ja auch, irgendwie, aber wo ist eigentlich der Kleine, der dann doch einen Kopf grösser ist, überschlank, elegantester Bewegung, hübsch, nein schön! Aber das sagten wir ja schon…) – und was tut Gott? Lässt einen einschlafen, auf der eigenen Party, man hat dann doch am Nachmittag schon einige Erfrischungen genommen, einige Kaltgetränke, die einem das Heer von Ärzten versagen, dieselben, Treusorgenden, Hochbezahlten, die man um sich versammeln musste, um dieses Leben zu überleben, das gerade noch so bitter war, so gleichförmig, so erwartbar, so eintönig und gesettelt – kurz, man schläft ein, im Smoking, völlig erschöpft, und wacht auf am nächsten Morgen, im Smoking (man muss mich zärtlich zu Bett gebracht haben), und das Telefon klingelt. Und klingelt. Und alle fragen „Wer war denn dieser bezaubernde Jüngling? Der göttliche Ephebe?“ Und – Horror of Horrors, um bei Shakespeare zu bleiben – ich, törichster Tor! weiss es nicht. Kann mich nicht an den Namen erinnern. Habe, Dummheit ohne Mass, mir nicht einmal die Nummer geben lassen, sowas wäre mir ja früher nicht passiert, verflucht nochmal… und man könnte im Oktagon springen vor Wut und packt dann gedankenverloren erstmal die Geschenke aus und beginnt, so glaubt man, zu vergessen. Und doch, die nächsten Tage über ist da was, da nagt es im Inneren, in der Herzgegend, Teufel noch mal, das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen, muss doch für dieses Kunstmagazin schreiben, stilistisch, artistisch überragend, man will ja dann doch ein Zeichen setzen, und nun das, und man erwischt sich dabei, dass man vor´m Bildschirm sitzt und sich fragt, was mache ich da eigentlich, und wo ist der Junge, und wer war das, und wer könnte das wissen, und man weiss nur noch schemenhaft, mit wem er, der Bezaubernde, denn kam, und vor allem, tausendfach verflucht, dass er irgendwann ging, entschwand in die Nacht, verging, und ja, man vergeht schon wieder, und dann ist da diese Gewissheit, es ist wieder mal passiert, unzweifelhaft, was kann das nur sein, und wieso zittern mir die Finger, und dann ist es mit einem Donnerschlag im Hirn, Lava fliesst ätzend hindurch, ganz klar: Ich bin wohl verliebt.
Verliebt! Um der Götter willen! Sagt nicht die Wissenschaft, dass jener Zustand einer Psychose ähnelt? An den Grenzen des Wahns wandelt? Und singt nicht der ewige Platon schon, dass da der kleine Eros wahllos Pfeile verschossen, damit man verschossen, und – einziger Trost – der Olympier mit einem wandelt und den Daimon erhöht? Nebelhaft, betörter Sinne wandelt der Alltag dahin, nur durchbrochen von seltsam schnell auftretenden, traumhaften Schwaden irrationalster Wallungen, täglich, stündlich, alle fünf Minuten? Und die Welt wandelt sich und man wandelt beseelt durch die Strassen und geht seinem Tagwerk nach und soll ja doch eigentlich schreiben, und übrigens: Wer war dieser göttliche Junge? Und was mache ich da eigentlich mit dem Lachsfilet in der Hand, und wo bin ich denn hier, und was will diese Frau da am Rollband und die Oma mit der Tüte, – und wo ist denn nur meine Brieftasche und wie bin ich denn eigentlich an diese Kreuzung geraten?
Und die Tage und Wochen vergehen, und der Verstand setzt dann doch wieder ein, und man sitzt in seinem Lieblingscafé und lässt sich vom „Spiegel“ deprimieren, und überfliegt, was bleibt einem übrig, denn nichts steht darin, den „Stern“, und landet dann doch beim „New Yorker“ und draussen in Hamburg, da regnets, was ja dann doch gut für die Rosen. Und was tut Gott? Lässt die Tür aufgehen und man blickt auf, unwillkürlich, und da steht er, erscheinungsgleich, und ruft „Harald“, und wer ist eigentlich dieser Harald, und man wird geherzt und geküsst (sitzt mein Haar, die Krawatte, und ist das Kaschmirsakko, cremefarben, weich genug?) – ganz egal, da umflutet es einen, das Göttliche, rauschhaft, jawohl, und die Farben vorm Auge sind rot. Und ob man eine Champagnerflasche hätte, für den Mercutio, die Rolle, und man stammelt, eine leere, kein Problem, voll wäre schwierig. Und dann ist da der nächste Tag, und es klingelt, und man hat das silberne Teeservice auf Hochglanz gewienert, und er hat dann doch zwei Stunden vor dem Theater, und Teufel! – die Uhr rennt, und man bringt ihn zum Aufzug und – wagt es, voll Übermut, voller Verzweiflung, und küsst ihn.
Der Rest bleibt Geheimnis, ich sagte ja, jetzt wird´s persönlich, pardon, liebster Leser. Und bleiben wir doch mal am Boden. Der lausigen Tatsachen, ach! Zwei gänzlich konträre Optionen wird´s geben: Das ganze verfliegt, wie es kam, da wäre die eingangs beschwor´ne Dynamik des Hypes, für dieses vorliegende Kunstmagazin, nach den Regeln des Dramas, samt Absturz nach Peripetie. Und dann eben die andere. Auf die man zu hoffen nicht wagt… man wünsche mir Glück. Ein letzter Gruss noch, mit Wünschen, den besten, und geneigte Empfehlung erscheischend, yours truly, Harald Nicolas Stazol (der nach Diktat verreist, elysisch verklärt, und auch poetisch beseelt, entrückt, verrückt auch, ich geb es ja zu…).