Es ist wohl eine Charaktereigenschaft der Mediengesellschaft, dass sie zu ungebührlicher, oft vorschneller und doch vorhersehbarer Übertreibung neigt – der Hype an sich ist nichts anderes, als der Ausdruck unser aller psychischen Grundkonstitution, sich auf ein Einziges, möglichst Einzigartiges und dann auch noch Auschliessliches zu stürzen, vergleichbar einer plötzlichen Verliebtheit, die ja in ihrer Phänomenologie der Psychose gleicht. Der Hype um etwas ist davon nicht allzuweit entfernt, ja man kann sagen, dass er – als Massenphänomen betrachtet – einer zeitlichen und örtlichen Begrenzung enthoben ist: Hypes brechen aus, sie werden gemacht, nicht selten instrumentalisiert von der Konsumgüterindustrie und es ist ihnen schwer zu entkommen. Erinnern wir uns doch einmal an die Einführung des Sony-Walkmans anfang der Achtziger, dem Urvater aller Ipod-Variationen, an die frühen Goldräusche in den Vereinigten Staaten, an die Schlangen glückseliger Kinder vor den Buchläden mit dem neuesten Harry-Potter-Band, an den Run auf die Telekomaktie (der erst abbrach und Kurstürze erlitt, als der Hype abgeflaut war), an die Geschichte der New Economy.
Britney Spears ist das zur Zeit wohl traurigste Beispiel für einen Medienhype, der um eine Person gemacht wird, mit unabsehbaren Folgen für die Betroffene: Erst wurde sie zum Star gehypt, dann ergötzte sich die ganze Welt an ihrem tiefen Fall, der immer noch die Wesenszüge eines Hypes hat, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen.
Ich wage eine Theorie zum psychologischen Urgrund des Hypes: Vermutlich war es evolutionsbiologisch notwendig für unsere Vorfahren, etwa bei der Jagd auf ein Mammut, eine Art kollektiver Begeisterung aufzubringen, um den ganzen Stamm für die Hatz zu mobilisieren. Der Stammeserhalt ging über alles und war Voraussetzung für das Überleben in der feindlichen und gefährlichen Natur. Je grösser die Gruppen wurden, desto grösser wurde die psychische Energie, die dabei entfesselt wurde, mit womöglich unabsehbaren Folgen für, vielleicht sogar telepathische (wer weiss) Entfesselung der Gruppendynamik. Auch kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Ethnien erfordern solche mentalen Voraussetzungen, und so gilt es eigentlich die Frage zu klären, inwieweit die Ursprünge des Hypes unter Umständen ein eher männliches Grundschema haben, nämlich das des Jägers und Kriegers an sich, das sich dann im Laufe der Geschichte zu einem geschlechtsübergreifenden Phänomen entwickelte – wobei die weibliche Neigung zur Hysterie wahrscheinlich eher noch verstärkend gewirkt haben dürfte.
Es gilt zu klären, inwieweit die 19. Jahrhundert aufkommende Idee des Nationalstaates, gerade in Deutschland, eine Art politischem Hype zugrunde liegt. Und letzlich auch der immerhin 15 Jahre andauernde Massenwahn des Nationalsozialismus mit einer Hinwendung auf ein Individuum und gleichzeitiger Entfesselung einer Europa unterwerfenden Kriegsmaschinerie mit furchtbaren Folgen liesse sich als Hype begreifen – bis hin zur Judenverfolgung, die eine Art Antihype, ein Hype auf Zerstörung und Ausrottung gewesen sein dürfte.
Der gegenwärtig vorherrschenden Stimmung im Lande, eine Art Massendepression, angeheizt von Presse und Politik, ist eine ebenso ihrem Wesen nach eher selbstzerstörerische Form des Hypes. Es ist eine Eigenschaft des Hypes, dass er immer für beide Extreme, für totale Begeisterung oder totale Entmutigung, für höchste Idealisierung, ja fast Anbetung genauso steht wie für den Untergang stehen kann. Stehen ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht das richtige Wort, denn der Hype ist immer dynamisch, immer beweglich.
Als um 1630 die aus der Türkei eingeführten Tulpen zum Statussymbol der holländischen Reichen wurde, geriet die Begeisterung und Sepkulationssucht der Bevölkerung Hollands derart ausser Rand und Band, dass schliesslich ganze Häuser für drei Zwiebeln verkauft wurden. Die ganze Gesellschaft wurde zu Hasardeuren und Spekulanten, es wurden Vermögen gemacht und wieder verpfändet, man sprach von nichts anderem mehr und manche Zwiebel wurde an einem Tag zehnmal verkauft. Manche Zwiebeln erreichten den Gegenwert von 60000 Gulden, einer für die damalige Zeit unerhörte, astronomische Summe – bis 1637 die Blase platzte und das Land ruiniert war. Die Parallelen zum Neuen Markt, der Internethysterie der neunziger Jahre dieses Jahrhunderts, sind unübersehbar: es wurden innerhalb von fünf Jahren Milliarden vernichtet, eine Tatsache, die die Weltwirtschaft noch heute belastet.
Offenbar hat die Aussicht auf schnelles und leichtverdientes Geld eine ähnliche Verführungsgewalt zum Hype wie die Gier nach Sensationen.
to be continued