henri-nannen-revisited

Es ist schon erstaunlich: Da sitzen etwa 1200 Gäste im Smoking und in Ballkleidern, um sich bei Champagner und Lachshäppchen über den Zustand der Welt informieren zu lassen, ohne auch nur im Geringsten daran teilzuhaben: Eine Reportage über einen Berliner Obdachlosen gewinnt den Kisch-Preis, neben einer anderen über die Fährnisse eines Asylbewerbers aus den Tiefen Afrikas (6000 Kilometer durch Teile der Sahara), und die Haute Volée des deutschen Journalismus nimmt all das wahr und bleibt dennoch seltsam unberührt. Da ist Alice Schwarzer, die spät am Abend noch am Klavier etwas singt, Wowereit, der am Rande noch etwas shakert oder flirtet und Daniel Richter, der sich für seinen Vortrag in der Kunsthalle noch etwas feiern lässt: Wobei es schon interessant ist, dass der junge Maler noch am Donnerstag auf eine Publikumsfrage, warum er nichts über Kinderarmut male, antwortete: „Jeder, der drei Euro überweist, hat mehr gegen Kinderarmut getan, als ich es durch ein Bild vermochte. Sie glauben doch nicht, dass der Museumsbetrachter nach Hause geht, wenn er mein Bild gesehen hat, und sich sagt, jetzt mache ich mal was gegen die Kinderarmut… Stuckrad-Barre ist im weissen Anzug (hat wohl keinen Smoking? Shocking!) sauer , weil er nichts gewonnen hat (wäre ja auch noch schöner…), und es bleibt ein etwas schales Gefühl der Beliebigkeit zurück – etwa so, als hätte man von etwas Durchdringendem erfahren, ohne dessen wirklich teilhaftig zu sein. Unwirklich ist das, und ein wenig überinformiert, und auch ein wenig pervers: Der Herausgeber und Chefredakteur der russischen Zeitung Nowaja Gaseta, regimekritisch und von Todesdrohungen umwölkt, bekommt standing ovations, aber wirklich aktiv werden für ihn will im Saale niemand, oder kann es nicht. Da sind die sogenannten kritischen Geister einer ganzen Epoche versammelt und so fragwürdig passiv, machtlos, ohnmächtig geradezu. Will man nicht oder kann man nicht? Und überschätzt man nicht gnadenlos die Macht des Journalismus?

Man reinstitutionalisiert sich selbst, allenthalben. Es ist ein trauriger Versuch, der Welt mehr abzugewinnen, als sie gemeinhin hergibt. Eine Gala der Galanterien: Man weiss von den Missständen in der Welt, wagt es aber nicht, aus dem Konglomerat westlicher Werte, der Informationsindustrie und den allgemeinen Erwartungen hervorzutreten. Aus Passivität? Aus Resignation? Oder aus dem Wissen um die eigene Abgesichertheit, von hohen Honoraren und Festgehältern? Ob die Antwort auf all das eine höllisch schwere Büste des Namensträgers der Veranstaltung die richtige Entgegnung ist, bleibt zweifelhaft. Bis zum nächsten Jahr, jedenfalls.