Designer Issey Miyake, 67,
issey myake und APOC
experimentiert mit Recycling-Stoffen und propagiert Mode zum Mitmachen – Ein Interview
WELT am SONNTAG: Herr Miyake, finden Sie, dass sich die Deutschen gut anziehen?
Issey Miyake: Auf Japanisch sagen wir: fast angenehm. Es war schon eine gewisse Entschiedenheit, mit der sie sich zum Beispiel zur Eröffnung meiner Ausstellung im Berliner Vitra Design Museum kleideten. Ich fühle mich hier ein wenig wie auf der Weltausstellung in Japan 1970.
WamS: Weil das Publikum ähnlich neugierig ist?
Miyake: Die Neugier ist viel stärker als in Tokio, New York oder Paris, die ganze Stadt wirkt dynamischer. Auch die Menge der jungen Leute hat mich überrascht. Die Berliner sind so open-minded, sie gehen geradewegs auf einen zu. Ich mag es, wenn sie fragen: Wie funktioniert das?
WamS: Gut, fragen wir wie die Berliner: Wie funktioniert A-POC (A Piece Of Cloth), das Label, auf dessen Entwicklung Sie sich seit 1998 konzentrieren?
die APOC Collection
Miyake: Es sind in gewisser Weise Stoffschläuche. Wir programmieren Industriemaschinen so, dass sie ein Gewebe produzieren, dass das Zuchneiden und Nähen des Stoffs überflüssig macht. Der Kunde kauft dann ein Stück Stoffschlauch von der Rolle, in dem verschiedene Kleiderformen angelegt sind. Er kann die endgültige Form dann selbst zuschneiden.
WamS: Haben Sie A-POC entwickelt, weil sich damit besonders gut experimentieren und spielen lässt?
so wird APOC gemacht
Miyake: Das ist doch das Wesen der Mode! Noch in den achtziger Jahren fingen die Leute an, Designer wie Supermodels zu behandeln. Das fand ich furchtbar. Damals begann ich, einen anderen Weg zu gehen: Mit diesen Kleidern aus einem durchgehenden Stück Stoff, das als Rohstoff in die Maschine geführt wird und als fertige Kleidung herauskommt. Die Leute haben das natürlich nicht sofort verstanden. Aber in diesem Monat habe ich in meinem A-POC-Laden in Tokio Kleider für sieben Millionen Yen (130 000 Mark) verkauft, eine Summe, die mich selbst überrascht. Und die Nachfrage steigt ständig.
WamS: Wie erfühlen Sie, wie jemand in Ihren Kleidern aussieht? Vor allem, wenn man sich darin bewegt?
Miyake: Eine Möglichkeit ist es, interdisziplinär zu arbeiten: Ich habe zum Beispiel Irving Penn Fotos machen lassen, er hat mir gewissermaßen ein drittes Auge gegeben. Auch William Forsythe in Frankfurt sah ja sofort, dass meine Kleider sich hervorragend für modernen Tanz eignen. Ich werde mit Frank Gehry arbeiten, der meinen neuen New Yorker Shop in Tribeca einrichtet. Er hat zu mir gesagt: Mach mir einen Hurricane aus Stoff in die Räume. Also bekommt er einen Hurricane von mir, Anfang September.
WamS: Kann Mode eine gesellschaftliche Wirkung haben?
Miyake: Wenn sie in Ausstellungen wie dieser gezeigt wird, bestimmt. Die Menschen fangen an nachzudenken. Manchmal ist Mode gefährlich.
WamS: Vor allem doch, wenn sie in die falschen Hände gerät.
Miyake: Ja, und wenn sie ideologisch wird. Die Labelmanie, die auf dem Markt herrscht, ist doch verrückt. Gerade bei Japanern, gerade bei den Accessoires. Nicht jede Japanerin braucht eine Tasche von Louis Vuitton, aber jede hat eine. Das ist eine Tradition, die wir in Japan „den Sieger der Familie“ nennen, ein Repräsentationsbewusstsein, das fast genetisch zu sein scheint. Sie wissen es nicht, aber ich vermute, es ist in ihrer DNA.
WamS: Was halten Sie denn von Massenware?
Miyake: Na ja, Qualität muss schon sein. Wenn die Knöpfe abfallen, hört der Spaß auf. Man kann nicht eine Million Handtaschen auf den Markt werfen, die alle eine hohe Qualität haben. Aber es ist auch nicht immer wichtig, der Mode zu folgen: Alles was modisch ist, wird sofort alt, eigentlich in der Sekunde, in der es entsteht. Wir müssen erstmals wirklich nachdenken, was wir eigentlich wollen, welche Qualität uns im täglichen Leben umgeben soll.
WamS: Wie sieht es mit neuen Materialien aus?
Miyake: Wir recyclen jetzt schon hervorragende Garne aus alten Stoffen. Da muss man sich gar nichts vormachen, oft sind die wieder verwendeten Produkte besser als die Originalstoffe. Wir werden eines Tages Jeans vom Band laufen lassen, ganz billig und für jeden zu haben, Stretch-Stoffe, die jedem passen, jeder wird sie sich selbst ganz individuell stylen können. Der Herstellungsprozess wird bald nicht mehr ein Zehntel von dem betragen, was man heute dafür bezahlen muss.
WamS: Wird die Qualität darunter leiden?
Miyake: Das glaube ich nicht. Ich bin sehr stolz auf den japanischen Standard, der sich ja auch letztlich aus der Stoff- und Verarbeitungsqualität von Kimonos entwickelt hat. Japaner haben sich sehr lange mit ihren Traditionen auseinander gesetzt, jetzt ist ihnen leider vor allem der Preis wichtig. Das ist natürlich der Einfluss Amerikas, der sich da auswirkt. Das macht mir Angst.
WamS: In welcher Phase befindet sich die Mode denn gerade?
Miyake: Kreativität ohne Qualität, und das ist doch absolut nutzlos. Da klafft etwas auseinander, und alle tun so, als sei das nicht so wichtig. Das gilt ja nicht nur für die Modeindustrie. Jeden Monat kommen Hunderte von Parfüms auf den Markt, von denen alle wieder verschwinden, weil keines davon wirklich Seele hat, ein Herz. Sehen Sie, da drüben steht eine Museumsbesucherin, die trägt ein Kleid von mir …
WamS: … die Dame dort? …
Miyake: Ja, lassen Sie mich sehen, das ist von 1983, nein, 84, von innen beschichtetes Leinen, und es sieht immer noch sehr gut an ihr aus. So etwas freut mich.
Das Gespräch führte Harald Stazol.
Zur Person: Issey Miyake
* geb. 1938 in Hiroshima
* 1963-66 Grafik-Design-Studium in Tokio und Modedesign in Paris
* 1971 Präsentation der ersten Kollektion in New York, seit 1972 zweimal jährlich in Paris
* 1992-2000 Lancierung des Parfüms „L’Eau d’Issey“ (’92), Gründung von Pleats Please (’93), Parfüm „Le Feu d’Issey“ (’98), Gründung von A-POC (2000)
* Issey Miyake hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten und internationale Mode-Ausstellungen inszeniert