Friday, November 25, 2005, 17:02
Der deutscher Adel spielt seine Rolle noch
immer, und sei´s auch nur im Kino
Als der britische Schauspieler Laurence Olivier in den Adelsstand erhoben
wurde und im Alter von über Sechzig seine „Jungfernrede“ vor dem britischen
Oberhaus hielt,
Laurence Olivier
soll einer der schlafenden Lords in den vorderen Reihen
ungläubig staunend erwacht sein und entsetzt gefragt haben, wer zum Teufel
der Redner denn eigentlich sei. Um nach der Antwort noch einmal „an actor? –
ein Schauspieler?“ zu stöhnen, und sich im Alptraum über die heutigen
Zustände und einem „Früher hätte es dies nicht gegeben“ wieder zur Ruhe zu
begeben.
In Deutschland ist das anders. In Deutschland ist der Adel – entgegen immer
wieder anderslautenden Gerüchten – seit 1919 endgültig abgeschafft. Auch
wenn gewisse herrschaften blauen Blutes dies immer noch nicht recht
wahrhaben wollen, und sich ihrer längstvergangene titel im intimsten Kreise
noch relativ nachhaltig bedienen, während sich das deutsche Bürgertum vor
den Durchlauchten, den Hochwohlgeborenen und Hoheiten nicht minder
nachhaltig auf dem Bauche windet.
Man kann vom Adel und seiner schwindenden Bedeutung in der modernen
Gesellschaft halten, was man will – in Film und Fernsehen, auf der Bühne und
in der Werbung sind viele Angehörige alter Dynastien schon lange sehr aktiv.
Grund genug, einmal genauer hinzusehen, wer aus dem landläufigem
Adelsregister, dem altehrwürdigen „Gotha“ und dem deutschen „Adelsbrief“ die
höheren Weihen illustrer Abstammung verdient: Und wen eigentlich noch „Adel
verpflichtet“. Und wenn überhaupt – zu was. Eine kleine Prise
Ahnenforschung.
Dass der Jungstar Max von Thun,
Max von Thun
Sohn von Friedrich, in Prag bis auf den
heutigen Tag mit „Euer Durchlaucht“ angesprochen wird, ist für ihn heute
eher etwas amüsant. Zu verdanken hat er dieses Privileg seiner Familie, den
mittelböhmischen Grafen von Thun-Hohenstein in Benàtky, deren Sproß Leopold
von Thun-Hohenstein auf Schloss Benátky nad Jizerou schon im Jahre 1844 den
tschechischen Nationalkomponisten Friedrich Smetana als Musiklehrer der fünf
Grafenkinder beschäftigte. Auch im nahegelegenen Landschlösschen „Bon Repos“
(frz. für: „Schöne Erholung“) wurde musiziert, Smetanas Gehalt lag bei
jährlich 300 Gulden, einem kleinen Vermögen, und natürlich residierte der
Komponist während der Saison standesgemäß im gräflichen Palais in Prag. Die
begabteste seiner Schülerinnen scheint die kleine Komtesse Felicie gewesen
zu sein, die in ihrem Tagebuch schreibt: „Wir waren alle recht faul, er
hatte eine Menge Arbeit mit uns“. Schauspielerische Fähigkeiten scheint die
Familie von Thun schon in ihren Anfägen gehabt zu haben, schließlich war es
im K.u.K – Österreich und davor unter diversen Kaisern und Kaiserinnen für
den Adel unerlässlich, den täglichen Hofintrigen um Ämter und Pöstchen,
Pfründe und Positionen täglich Komödie zu spielen.
Die Thun-Hohensteins stammen ursprünglich aus Südtirol., der Titel
Hohenstein ist von dagegen deutsch. Das Jahr 1495 sieht ihre Erhebung in den
Rang von Baronen, kaiserliche Grafen werden sie im Jahre 1629 und
österreichische Prinzen im Jahre 1911 – also nur kurz, bevor im Jahr 1914
für die adelige Commedia dell ´arte recht tragisch der Vorhang fällt.
Dass den Adel womöglich ein besonderes Talent zum Schauspiel geradezu drängt
kann wohl als bewiesen angesehen werden – waren nicht die Hofhaltungen auch
des letzten deutschen Kaisers nichts anderes als immerwährende
Bühnen-Schauspiele, mal besser, mal weniger gut besetzt? Dass man vor allem
im Umgang mit Wilhelm II. doch einigen Humor mitbringen musste, beweißt
niemand besser als die Familiedes Komikers Loriot, die
Fürsten von Bülow: Loriots bürgerlicher Name, Vicco von Bülow, lässt sich
auf das gleichnamige, inzwischen weitverzweigte und recht verwässerte
Geschlecht derer von Bülow. Ihr neben Loriot wohl herausragendsder Vertreter
war der ehemalige Reichskanzler Bernhard Heinrich Martin Karl von Bülow
(1849-1929),
Bernhard von Bülow
zu dessen herausragenden Fähigkeiten nicht nur der Ruhm als
charmanter Gastgeber (auf verschiedenen Botschafterposten zu Petersburg,
Rom, Athen, Wien und Paris) sondern auch die größte innenpolitische Krise
des Deutschen Reichs gehörten: Als er allerhöchstseinerselben Worte des
„bedeutendsden Hohenzollern seit Friedrich dem Großen“ (O-Ton: von Bülow) in
der berühmten „Daily-Telegraph-Affaire“ vor Veröffentlichung in der
britischen Tageszeitung nur überflog, druckte das britische Blatt den Kaiser
im Original. Europa war brüskiert, der Kaiser sinnierte über Abdankung, und
von Bülows Karriere war beendet. Das die kolonialpolitisch höchst
ungeschickte Forderung des Reiches nach einem „Platz an der Sonne“ auf ihn
zurückgeht freut bis heute die Aktion Sorgenkind, die jenen wilhelminischen
Werbespruch bis auf den heutigen Tag verwendet.
Auch einen Hang zum Schauspielern darf bei der Familie von der Schulenburg
vorausgesetzt werden, dem die Mimin Ina entspringt: Zweifellos mit einer
Nuance Heldenmut vermischt sich dort das Talent, schließlich war es ihr
naher Verwandter Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg, der vor keinem
geringeren als Adolf Hitler persönlich auf die Bühne des Weltbrandes und
mutig gegen seine Brandtstifter war, ein genauerer Exkurs lohnt sich hier:
Als Sohn von Graf Bernhard von der Schulenburg studierte Friedrich-Werner
nach einjähriger Militärdienstzeit Jura in Lausanne, München und Berlin –
damals war von Widerstand gegen das Dritte Reich noch nicht die Rede. 1901
trat er als Assessor in den konsulatrischen Dienst des Auswärtigen Amtes
ein. 1903 war er bereits Vizekonsul beim Generalkonsulat in Barcelona und in
den folgenden Jahren in Konsulaten in Lemberg, Prag, Warschau und Tiflis
tätig. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 rückte von der Schulenburg
ins Feld und wurde nach der Marneschlacht im Oktober 1914 als Chef einer
Geschützbatterie zum Hauptmann befördert. Ein Jahr später ging er als
deutscher Verbindungsoffizier zur Osmanischen Armee an der armenischen
Front. Im Jahr 1916 übernahm er in der Türkei die Führung der Georgischen
Legion im Kampf gegen Russland bis zu dessen Zusammenbruch im November 1917.
Zum Ende des Ersten Weltkrieges kehrte von der Schulenburg wieder in den
Dienst des Auswärtigen Amtes zurück und wurde Konsul in Beirut. Während
seiner Militärzeit erhielt er das Eiserne Kreuz und hohe türkische
Auszeichnungen. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs wurde er von den
Engländern auf der türkischen Insel Prinkipo interniert, von wo er 1919
zurückkehrte. Nach dem Ersten Weltkrieg setze von der Schulenburg seine
diplomatische Karriere weiter fort, u.a. als Gesandter in Teheran und
Bukarest. 1934 wurde er zum deutschen Botschafter in der Sowjetunion
ernannt. Schulenburg trat für eine Verständigung zwischen Deutschland und
der Sowjetunion ein und war maßgeblich am Zustandekommen des
deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts vom August 1939 beteiligt. Bis
zuletzt versuchte er, den deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juli
1941 zu verhindern, u. a. durch Hinweis auf die militärische Stärke des
Landes und die Unangreifbarkeit seiner Industriereserven – schon dies eine
mutige Tat. Nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion am
22. Juni 1941 wurde er einige Wochen interniert und an der
russisch-türkischen Grenze ausgetauscht. Danach bekam von der Schulenburg im
Auswärtigen Amt in Berlin einen Posten ohne politischen Einfluss als Leiter
des Russland-Komitees zugewiesen, der ihn kalt stellte. Später machte er
seinen Einfluss in der militärischen Opposition geltend, um einen raschen
Friedensschluss im Osten zu erreichen. Er war bereit, im Namen der
Verschwörer sogar mit Stalin zu verhandeln. In den Umsturzplänen war
Friedrich-Werner von der Schulenburg zeitweilig als Außenminister
vorgesehen.
Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er verhaftet und als
69-jähriger wegen Hochverrats unter Anklage gestellt. Am 23. Oktober 1944
verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode und ließ ihn am 10. November
44 in Berlin-Plötzensee ermorden. besonders tragisch ist die Tatsache, dass
sich gräfliche Gnaden – wie der gesamte deutsche Adel mit militärischem
Rang, wohl zu lange der Illusion hingab, den Mann im Braunhemd kontrollieren
zu können – er hatte wohl nicht mit der Feigheit und Willfährigkeit der
deutschen Aristokratie gerechnet. Die andere Angehörige jener noch immer
beeindruckenden Dynastie dürfte die Künstlerin Tisa von der Schulenburg sein
(1903 – 2001), die nach einer Karriere als bildende Künstlerin im Jahr 1950
46-jährig als Schwester Paula in das Dorstener Kloster St.Ursula eintrat,
und sich nach 13 Jahren als Zeichenlehrerin im Schuldienst wieder ganz ihrer
Kunst widmen sollte. Das von ihr überlieferte Zitat „Ich kann nicht
schweigen“ dürfte wegweisend als Motto ihres gesamten Clans gelten, ebenso
wie der von ihr gewählte Wahlspruch aus Friedrich Schillers Wallenstein
„Frei will ich leben und frei will ich sterben“. Die von der Schulenburgs
jedenfalls dürfen an Charakterstärke und entschlossener Durchhaltekraft das
leuchtende Beispiel sein, das einst die wichtigsten Werte der Aristokratie
darstellte – „noblesse oblige“, Adel verpflichet.
Ganz seiner Herkunft verpflichtet scheint auch ein Vorfahr der Moderatorin
Tita von Hardenberg gewesen zu sein. Ihr Ahnherr Karl August von Hardenberg
(1750 – 1822)
Hardenberg
war nicht nur einer der brilliantesten politischen Köpfe
gewesen zu sein, die je Deutschland zur Verfügung standen, er war – auf
persönlichen Rat Seiner Majestät König Georgs III , Herrscher des
vereinigten Königreichs – weitgereist und im übrigen hochgebildet. Die
Reformen des späteren preussischen Ministers im Range eines Kammerherrn sind
in der neueren Geschichte ohne Beispiel: Umsichtig und im Umgang mit
Monarchen geübt – den Rang des Grafen erhielt er von seinem
Hauptarbeitgeber, König Friedrich Wilhelm III von Preussen, eines Mannes,
der Hardenbergs politisches Schicksal bestimmen sollte. Man muss sich die
enorme Verunsicherung des europäischen Kontinents vergegenwärtigen, die
jenem Parvenu Napoleon und seinen Kriegen zu verdanken war, um das Ausmaß
der politischen Begabung Hardenbergs zu ermessen – ja, der französische
Empereur forderte aus persönlicher Asympathie nach der Schlacht von
Austerlitz als Siegermacht über das geschlagene Preussen die Amtsenthebung
des mächtigen preussischen Ministers. Doch schon 1810 wird Hardenberg wieder
zum Kanzler erhoben, und sein einzigartiges Reformwerk, bedeutsam bis in die
Gegenwart, kann beginnen: Die Leibeigenschaft schafft er ebenso ab wie er
das Schulsystem reformiert und eine Frühform des „Bildung für alle“ kreiert.
Die Armee wird völlig neu durchstrukturiert, ebenso wie das aussenpolitische
Bündnissystem, das in den Grundzügen bis in die Jahre Bismarcks Bestand hat.
Nach dem Frieden von Paris am 3.Juni 1814 wird er wegen seiner Verdienste im
Befreiungskrieg zum Prinzen erhoben, weswegen sich Tita von Hardenberg
eigentlich als „Prinzessin“ oder zumindest „Fürstin Hardenberg“ titulieren
dürfte – von ihrem Familienstolz ganz zu schweigen: Zu Recht sehen die
Patrioten der Revolutionsjahre 1848 ihn als den wichtigsten Staatsmann, der
den Sinn für nationale Unabhängigkeit am besten vertrat. Am Ende seines
Lebens galt als „liebenswürdig, charmant und von leuchtendem Geist“, auch
wenn er durch nicht näher benannte Ausschweifungen nach Gutsherrenart bei
seinem hochhonorigen König langsam in Ungnade fiel – vielleicht war er mehr
Adeliger denn Schauspieler, aber seine Karriere dürfte leider nicht mehr als
ein Zwischenspiel, ein geistvolles Intermezzo gewesen sein.
Den Schlussakt jener großen Familie aber bildet ohne Zweifel Friedrich von
Hardenberg (1772-1801),
Novalis
der unter dem Namen „Novalis“ in die deutsche
Romantik einging – sein Werk füllt Bände: Er war Dichter, Romancier,
Aphorist, Philosoph, politischer Theoretiker, Naturwissenschaftler und
religiöser Mystiker in einem – was man bei aller Liebe wohl von keinem der
folgenden Familienmitglieder mehr erwarten kann. Eines aber war er mit
Sicherheit nicht: Ein Schauspieler.
HARALD NICOLAS STAZOL