Das Kaufhaus wird zur Stätte der ästhetischen Bildung. Läden reichern ihr Angebot mit Dingen an, die ins Museum gehören: Raritäten, Kunst, Vorträge
Von Harald Stazol
Manchmal nimmt die Besessenheit von schönen Dingen solche Formen an, dass man einen Laden damit aufmacht: Peter Kempe aus Hamburg hat es getan, zusammen mit einem Freund, und nun kann man ihn sehen, werktags, wie er von Barcelona-Sesseln und weißem Meißener Porzellan umgeben auf Kundschaft wartet. Die kommt, sagt er im Vertrauen, und zahlt, sagt er, noch vertraulicher, doch ganz beträchtliche Preise: Für eine Bettwäschegarnitur aus handgenähtem französischen Leinen schon mal 4000 Mark, dafür schläft man auf der Aussteuer-Ausstattung von Maria Callas und Gracia Patricia. Mit der Hoffnung auf Ruhm über Nacht und der Gewissheit, dass wenigstens die Wäsche ewig hält. „Aber das Springseil dort kostet 25 Mark, so eins hat schon Max Schmeling gehabt“, und es wird, so versichert man, noch heute von Boxern benutzt. Einziehen möchte mancher Kunde schon mal in den Laden, was nicht nur am original Bauhaus-blauen Estrich liegt, auch an den vollsilbernen Lampen aus den Zwanzigern und am fast achtlos in die Ecke gestellten Stahlrohr-Klappsessel mit bläulichem Eisengeflecht. Das Konzept von „Kuball und Kempe“ (Alter Fischmarkt 11) richtet sich gegen Massenware und Ramscherei, ist ein kleiner Aufschrei der Ästhetik in einer Welt von Ikea-Regalen und Billigwaren.
„Kuball und Kempe“ reiht sich ein in jene handverlesene Geschäfte, wie sie plötzlich vermehrt in den Metropolen der Welt auftauchen. Die eine orientierungslos umherirrende Kundschaft zwischen 25 und 45 Jahren vor Augen haben, „mit ein wenig Geld und dem Sinn fürs Ausgefallene“, wie Peter Kempe sich ausdrückt. Menschen, die in Stilfragen beraten werden müssen, die einer Erziehung in Ästhetik bedürfen, „denen man die Tradition nahe bringen muss“.
Sie finden all das in Läden, die ein wenig ausgefallener sind, etwas ausgesuchtere Ware führen (zu natürlich etwas ausgesuchteren Preisen, versteht sich). Und wer solch weihevollen Ort aufsucht, der wähnt sich schon mal im Museum, nicht nur der Preise wegen. Denn die Läden sind eigentlich nur eine logische Fortführung des Gedankens vom „Sammeln und Bewahren“: Nicht umsonst hat das Museum of Modern Art in New York einen großen Shop: Man bedient sich dort, wenn schon nicht am Original, so zumindest an dessen Abbild, den Drucken, Fotografien und Bildbänden, um nach dem Museumsbesuch wenigstens einen Hauch von Moderne und Objekt mit nach Hause nehmen zu können.
Bei „Colette“ in Paris (213 Rue Saint Honoré)
liegt in Glasvitrinen der Glasperlenschmuck von Jade Jagger neben japanischer Mini-Unterhaltungselektronik, einem Taschenfernglas von Zeiss, Jena, und den letzten Turnschuh-Entwürfen von Nike und Adidas – es sieht ein wenig aus, als hätte ein in der Internetbranche kurz zu Geld gekommener Teenie sein Jugendzimmer geöffnet. Die Web-Site gibt staatstragend bekannt, dass der Sportaustatter Lacoste Poloshirts in limitierter Auflage nur bei „Colette“ vertreibt, je 212 für beide Geschlechter, mit silbernem Krokodil. Die Preisschilderchen, in Francs, Dollar, Yen, DM und Euro tabelliert, schreien förmlich nach Bourbon. Doch wären sie nicht, man fühlte sich ans Prager Kuriositätenkabinett von Kaiser Rudolf II. erinnert, komplett mit Hofzwergen und Alchimistenküche: Ein im Geheimen waltender Sammler erspart dem Betrachter die Weltreise und hat die schönsten Dinge zusammengestellt, wohlfeil und eben käuflich.
In New York bei „Guilde des Orfèvres Ltd.“ (225 Fifth Avenue, Suite 1102) steht vor weißgewaschener Wand in Stahlregalen das handbemalte Rokoko-Service „Rocaille“ von KPM neben Küchenutensilien von Philippe Starck, ganz selbstverständlich und mit jenem Hauch von Exklusivität versehen, der dem Käufer beim Kauf eine gewisse Genugtuung verleiht. Man nimmt sich vor dem Hintergrund der überquellenden Verkaufsstände bei „Bergdorf Goodman“ und übers Land wuchernder Shopping Malls gewissermaßen freiwillig zurück, verzichtet auf das Konsum-Füllhorn zu Gunsten einer Stil-Oase.
Im Departmentstore des Berliner „Quartier 206“ (Friedrichstraße 271) wird regelmäßig ein „Literarisches Frühstück“ veranstaltet, bei dem Autoren über Mode, Lifestyle und die Inszenierung des Alltags diskutieren. Die Requisiten dazu kann man dann unter demselben Dach erwerben: englische Rasierseifen (Taylor of Old Bond Street, Court Hairdressers), Krawatten des Pariser Herrenaustatters Charvet, Prada-Kosmetik oder Taschen von Lulu Guiness, vereint mit der üblichen Berliner Geschäftstüchtigkeit, an der Friedrichstraße den Touristenmassen Zigarrettenspitzen feilzubieten, die sie beim Kiosk am Ku’damm zehn Prozent billiger haben könnten: Es geht ja auch ums Einkaufserlebnis.
Ein Kopenhagener Händler hat sich auf die skandinavischen Designklassiker der Nachkriegszeit spezialisiert: Bei „Klassik“, (Christian IX’s Gade 5) nicht weit von Schloss Rosenborg, stehen Prototypen von Paul Kjaerholm einträchtig neben altem Silberbesteck von Georg Jensen, ausschließlich Stücke, deren Wert in zehn Jahren das Doppelte betragen dürfte.
Und so erklärt sich das Prinzip jener seltenen Läden des Handverlesenen wohl am besten: Sie sind die Schwelle jener wenigen Dinge, die gleich nach Serienreife schon zum Klassiker werden. Kleiner Stückzahlen, die dem Besitzer zumindest kurzfristig die Illusion geben, nicht bloß Käufer, sondern Kenner zu sein. Sie sind Stätten der Labsal für die Überdrüssigen einer Überflussgesellschaft, Kurorte des Konsums, die Ausstatter des Elfenbeinturms. Schade nur, dass das Motiv der Bauhaus-Bewegung, Gutes für Alle, noch immer unerfüllbar scheint. Aber Gucken kostet ja nichts.
Sunday, October 16, 2005, 17:45