ARMAND über die Alltäglichkeit
Das Tao des Toastes
Wie lange braucht Ihrer eigentlich? Bis er schön braun ist, goldbraun natürlich, wie ein Toast eben sein soll, wenn er denn richtig funktioniert: Der Toaster. Was er natürlich nicht tut. Warum auch, wir sind ja auch erst im Zeitalter der späten Quantenmechanik.
Da wäre einmal jener Knopf. Den man drücken muß, damit der Toast verschwindet, sobald man ihn eingelegt hat. Um geröstet zu werden. Schönes Versprechen der Technik. Drücke mich, und alles wird gut. Rührend, der Kleine. Schaut einen ja auch, genau besehen, schon ein wenig bedrohlich an. Oder, noch schlimmer, der Regler. Wie der Name schon sagt. Soll in aller Regel die Temperatureinstellung ermöglichen und den Farbwert des Toastes zwischen Goldbraun und Schwarz bestimmen. Tut er aber nicht. Weil das erste Gesetz der Toastermechanik lautet: Toastbrot wird immer schwarz. Man kennt das ja: Die Eltern haben sich am Frühstückstisch versammelt, das liebreizende Schwesterlein erbietet sich, das Brot in den Toaster auf dem Fensterbrett hinterm Vorhang zu stecken, man wartet, man unterhält sich beim Fünf-Minuten-Ei, und plötzlich steigt schwarzer Qualm auf und der Vorhang hinter einem steht in Flammen und die Mutter schreit und es gibt Schuldzuweisungen und der Sonntagmorgen ist dahin.
Ist schon ein rechtes Welträtsel, wieso der Mensch einerseits die Genetik vorantreibt und andererseits mit dem rußigen Zustand seines Frühstückes zufrieden ist. So ungefähr seit der Steinzeit. Als die meisten Mammutfilets auch Innen nicht mehr rosa gewesen sein sollen.
Die Angewohnheit, „eine Scheibe Brot vor trockene Hitze zu halten”, so schreibt es Alan Davidson in seinem nicht weniger als epochal zu nennenden Standardwerk „The Oxford companion to food”, entwickelte sich wohl aus einer glücklichen Kombination von offenen Feuerstellen und altem Brot. Von beidem hatten gerade die Engländer seit der Schlacht bei Hastings wohl im Überfluß. Was lag da näher, als aus altem Brot eine Tugend zu machen? „Der wirkliche Toast-Abhängige macht eine Menge Wind um dessen treffliche Zubereitung” heißt es weiter, „nimmt vorzugsweise einen Tag gereiftes Brot und besteht darauf, es zu essen, wenn es am heißesten ist.” Seit dem Mittelalter bekannt war der „tost”, nach dem Lateinischen „torrere, tostum” für „geröstet”: Brotkrumen, die man benutzte, um Saucen und Flüssigkeiten aufzusaugen, die geröstet wurden, um nicht sofort in ihre Bestandteile zu zerfallen. „Der attraktive Geruch kommt von der Auflösung von Zucker- und Stärkemolekülen an der Brotoberfläche” — der sogenannten Maillard-Reaktion — und soll je nach Hunger variieren. Fleischauflagen wurden im 16.Jahrhundert populär, damals allerdings waren sie noch manches Mal gesüßt, wie die beliebten Kalbsnieren in Rosenwasser. Zimttoast begeisterte das 17. Jahrhundert derart, dass erste Siedler ihre nahrhafte Marotte mit in die neue Welt nahmen.
Kein Wunder also, wenn der elektrische Toaster denn auch eine amerikanische Erfindung ist: Thomas Alpha Edison und Georg Westinghouse wetteiferten nach 1800 in der Elektrifizierung amerikanischer Großstädte, doch Edison hatte schon nahezu unüberwindbare Probleme damit, einen Glühwendeldraht für das Vakuum einer Glühbirne zu entwickeln — Toaster jedoch benötigten Material, das genug Stromwiderstand aufwies, um im Kontakt mit Luft ausreichend Röst-Hitze zu erzeugen — ohne sofort zu Schmelzen. Erst im Jahr 1908 gelang John Marsh eine Legierung aus Nickel und Chrom mit solchen Eigenschaften.
Die Trophäe für den ersten elektrischen Toaster der Weltgeschichte gebührt einem Mann aus Detroit: George Schneider, ein Angestellter der American Electric Heater Association, ließ sich nur zwei Monate nach Marshs Nichrom-Legierung ein zumindest nach Plan funktionstüchtiges Gerät patentieren, das allerdings nie gebaut wurde. Der erste kommerziell erfolgreiche Toaster wurde im Juli des Jahres 1909 einer hungrigen Weltöffentlichkeit vorgestellt: Das Modell D 12 von General Electric, ein Gerät von der Gestalt mittelalterlicher Folterinstrumente — und ähnlich effektiv.
Hatten bis dahin heugabelhafte Spieße und Draht-Stellagen am offenen Feuer brandgefährlich zur Toast-Herstellung gedient, so hielten nun metallische Haushalts-Schreine mit Kabelanschluß Einzug in die Küchen der Wohlstandsbürger. Eine Invasion von eckig-glänzenden Häßlichkeiten geriet in unmittelbare Nachbarschaft zum Menschen, fast so nah, wie heute das billige Plastik von Computern nahezu alle Lebensbereiche erfasst hat: Der Toaster als frühe Manifestation von Fortschrittsglauben, Konsumverhalten und (wie der Elektroherd) ganz nebenbei eine domistizierte Feuerstelle. Fortan trafen Familien weniger und weniger im flackernden Lichtschein des Kamins zusammen, sondern gruppierten sich hoffnungsfroh um ein Ding aus Blech, Keramik oder Bakelit. Eine Abbildung aus dem Jahr 1940 zeigt den Miniatur-Altar des modernen Durchschnittshaushaltes so: Auf einem Tablett sind Kaffetasse, Porzellanteller, Mixed Pickles, Tomaten und gekochte Eier zu einer kleinen Opfergabe an die Götter des Elektrons zusammengestellt, komplett mit Blumenvase und keck hervorlugenden Toastbrot. Vorn dran informiert ein Schildchen, dass es sich hier um den „Toastmaster” handelt — der nun nicht mehr dient, sondern bedient werden will. Der Anerkennung fordert und Demut im Umgang. Bei Mißachtung droht blitzartige Verbrennung. Und nicht ohne Grund werden die Toaster in der Bildsprache der Werbung häufig auf einem Berg von Brotscheiben fotografiert, der sich in den polierten Seitenfläche spiegelt: „Hier herrsche ich” soll das heißen, „füttert mich und erstarrt!”, eine Art des autoritären Industriedesigns, wie sie langsam fast alle Objekte, von Automobilen bis zu Eisenbahnen erfasst hat. So sieht der unangefochtene König der Toaster, der englische Dualit, in allen Modellvariationen aus wie eine chromstrahlende Dampflok. Eine metallgewordene Ode an die Technik, voller Tatendrang und Überzeugungskraft, unbezwingbar und nur mit Raffinesse zu bedienen — obschon er doch letztlich nichts anderes tut, als Brotscheiben zu rösten. Vielleicht sogar ist der moderne Toaster nichts anderes als eine letzte Konsequenz römischer Innenpolitik: Brot — und Spiele. ARMAND in Las Vegas