Einer der unzweifelhaft tragischsten Tage meines Lebens, und glauben Sie mir, es gab derer so einige, war der Tag, als ich meine schneeweisse, hautenge Jeans von Christian Dior im Atelier der mit mir befreundeten Künstlerin Tina Oelker mit (immerhin) weisser Acrylfarbe beschmierte – die Jeans, für die sich Karl Lagerfeld auf die Dimensionen eines Strichmännchens heruntergehungert hatte, wie man den Medien entnahm, weil sie die Signatur und unverwechselbare Handschrift des vielleicht grössten Modedesign-Newcomers des letzten Jahrzehnts trugen: Hedi Slimane.
Ich weiss noch, wie ich mich gefreut hatte, die Hose mit dem winzigen Emblemchen (wir sprechen von 50 Milimetern) in Silber mit dem CD des Hauses Dior, eine einzige Auszeichnung, ein Wappenspruch, ein Motto gewissermassen, fand, und der Preis war mir dabei völlig egal. Und wie ich Tag um Tag auf schönes Wetter wartete, um sie endlich anziehen zu können. Aber wie es bei einem Kunstliebhaber wie mir eben so passieren kann, landet er früher oder später in einem Atelier, vor allem an sonnigen Tagen. Und so nahm das Unheil eben seinen Lauf. Ich kann zwar garantieren, dass dies nicht die letzte Hose von Dior sein wird, die ich erwerben werde (eine Garantie in diesen Zeiten, ich muss verrückt sein), aber es gab, nein gibt noch einen anderen Trost:
Es trug sich zu, dass ich zu den Männermodenschauen nach Paris geladen war und mit dem Nachmittagsflug der Concorde von New York kommend in der Stadt des Lichts eingetroffen war, und mich kurz nach dem Einchecken im Meurice dann plötzlich wiederfand auf dem Wege, ich nahm nicht einmal einen Café au Lait, direkt durch die Stadt an die Rive Gauche, weil ich dort die Boutique von Yves Saint Laurent geöffnet vorzufinden hoffte. Und da geschah es. Ich verliebte mich coup-de-foudre-haft in eine gefütterte Weste in Schwarz (was sonst), die, wie mir ein atemloser Verkäufer berichtete, aus einem Gemisch von Seide und Nylon bestand. Nun muss man wissen, dass ich damals drei Kreditkarten besass (quelle surprise – ah! les neiges d´antan…) und eine davon sofort zum Einsatz brachte. Wer beschreibt mein Entzücken, als man mir das Westchen in die Tasche packte? Ich, wer sonst. Wer denn hinter diesem hocheleganten und dabei so einfachen Design stünde, fragte ich in meinem besten Französisch, und da hörte ich den Namen zuerst: Hedi Slimane. Und es begann eine wunderbare Liebesgeschichte… die meine Kreditkarte schliesslich zum rauchen und meine Bankiers in helle Verzweiflung stürzen würde, so wie es gute Liebesgeschichten eigentlich grundsätzlich tun, wenn man mal ehrlich ist, aber wer ist das schon. Doch halt! Bevor diese Geschichte in totalen Kulturpessimismus abrutscht, wollen wir uns doch lieber zu einer absoluten Krönung der laufenden Kulturgeschichte hinreissen lassen: Die Hedi Slimanes.
Denn, auch, wenn es die Leute bei Dior Homme nur ungern hören werden, Slimane arbeitete, nein genialisierte (wenn man das sagen darf) zunächst bei Saint Laurent, und was tut ein gutes Fashion Victim, wenn es in Liebe fällt, in Liebe? Es kauft die ganze Kollektion.
Es begann damit, dass einer meiner Streifzüge durch Berlin, die glitzernde Hauptstadt des Reiches, das sich nun Bundesrepublik Deutschland nennt, in der Friedrichstrasse im Quartier 206 endete, und wer beschreibt mein Entzücken, als ich dort im ersten Stock einen Blouson, nein, ein Bolerojäckchen in schwarzem Nylon-Seide-Gemisch entdeckte? Ich, wer sonst. Dass ich es dem atemlosen Verkäufer förmlich aus den Händen riess, versteht sich von selbst. Ein Blouson, federleicht, auf Taille geschnitten, von göttlicher Haptik, die untere Naht abgesetzt, so dass man einen etwa fünf Zentimeter Breite Streifen zu-oberst und zu-unterst knöpfen kann, was dem Ganzen unendliche Eleganz verleiht, ja, an die Tizians gemahnt, die Phillip von Spanien in Hoftracht zeigen, (und die, wenn nicht geknöpft, auf das entsetzlichste in den Türen eines Audi TT hängenbleiben können, worauf man ein leises „Ratsch“ hört und einen Tag mit fingergespitzer Näharbeit verbringt). Ein Traum, wie er vielleicht Konkurrenz nur noch vom federboa-haften Mantel aus Reiherfedern aus der Hand Sonnia Rykiels einer befreundeten Kühlschrankerbin hat.
Und siehe! Die beiden Kreationen, das Pariser Westchen von der östlichen Uferseite der Seine und die aus der Mitte Berlins fügen sich, beide zugleich getragen, mittig am Reissverschluss derart perfekt zusammen, dass man beim schliessen Beider schon mal den Verschluss der einen, inneren, passgenau (auf den Milimeter!) an den der äusseren heften kann! Eine solche Präzision von aufeinander abgestimmten Teilen der gleichen Kollektion war mir in den Sphären der Männermode bislang nicht begegnet, und ich bin Stammkunde bei Gucci. Wie nützlich allein die unter einem Sakko dämmend getragene, klein zusammenfaltbare Weste bei plötzlichen Klimawechseln sein konnte, erfuhr ich, als ich aus Bali kommend im Novemberwetter des unsinnigerweise offen gebauten ICE-Terminals am Frankfurter Flughafen wartete, oder als ich aus dem brütend heissen Houston – man hatte mich als Gerichtsberichterstatter zu den Erbstreitigkeiten der viel zu früh verstorbenen Anna Nicole Smith entsandt – zurück nach New York zu den Schauen flog, das in einem Blizzard versank. Da ist man(n) dankbar, dass jemand so sinnvoll dem Cosmopolitan zuarbeitet.
Doch zum nächsten Höhepunkt, und glauben Sie mir, in der Geschichte Slimanes gibt es derer viele: Denn fortan umschlich ich das Quartier 206 zu Berlin, der inzwischen bankrotten einzigen Metropole unseres an Bankrotten wahrlich nicht armen Landes (doch das ist eine andere Geschichte) mit der Hingabe eines ausgehungerten Wolfes in einer der Erzählungen Tolstois. Ich jagte ihn. Und vielleicht überrascht es niemanden, dass das nächste Objekt der Begierde aus schwarzem Leder war: Ein Hemd. Was sage ich, ein Hemd. Ein Hemd! Aus Leder, so fein und handschmeichlerisch, wie man es sonst nur noch bei den alten Rolls-Royces findet und Conolly nennt. Ein Luxuswagen zum Anziehen gewissermassen. Und natürlich fragte ich nicht nach dem Preis, sondern wechselte den Bankier. Dass mir eine Freundin für das Hemd neulich den doppelten Kaufpreis dafür bot, versteht sich fast von selbst, ebenso selbstverständlich, wie ich ihr Angebot indigniert ablehnte. Und es ist wohl evident, dass Besitzer von Jacken, Hosen und Hemden aus Ledern minderer Qualität mich mit mehr oder weniger verhohlenem Neid nicht nur aus den Augenwinkeln bedenken, und derer gibt es viele, nein, es sind eigentlich alle, meine Jacke aus Handschuhleder von Gucci nehmen wir davon einmal aus, aber die gehört ja schliesslich auch mir.
Der Rollkragenpullover ohne Ärmel in Stretchwolle, unendlich schlicht, unfassbar fein gewebt, ich erwähne sie nur am Rande. Und damit endet die Geschichte Slimanes für das Haus Saint Laurent, Und sein unaufhaltsamer Aufstieg bei Dior Homme beginnt.
Wollen wir dem Franzosen maghrebinischer Familie vorwerfen, dass er ob seiner eigenen Jugend und körperlichkeit den Body-Mass-Inndex seiner Kollektionen derart verringert hat, dass die Stücke eigentlich nur schwebenden Epheben stehen? Wir tun es nicht. Wenn sogar Lagerfeld deswegen dem Diätwahn verfällt und 40 Kilo abnimmt, sei es verziehen. Das neuste Werk des passionierten Fotografen Slimanes zeigt einen Jüngling, der in eine Aprikosenscheibe beisst, natürlich ist es nur eine Scheibe (volle Früchte sind ein Zeichen der Lust seit der Renaissance), natürlich ein junger Mann, natürlich in Schwarz-Weiss. Als ich am Büro meines damaligen Ressortchefs vorbeigehe und ein längliches Buch entdecke, achtlos beiseite geworfen, belagere ich es auf dem Korridor bis kurz vor Auftauchen des Putzdienstes, um es in Besitz zu nehmen, natürlich eine Ausgabe der Visionaire, natürlich das sich Dior widmende, natürlich von Slimane gestaltet, und natürlich seitenweise in Grau.
Es gehört zu den ebenfalls tragischen Fällen meines Daseins, dass die erste Möglichkeit, den inzwischen in Berlin lebenden Designer für eine grosse deutsche Sonntagszeitung, (deren Namen zu nennen sich schon allein deswegen verbietet, weil sie ihn nun wirklich nicht länger verdient), zu interviewen, im Sande verlief, weil ein sich bis auf den heutigen Tag unbegreiflicherweise als Modekenner gerierenden Vizechef oder Creative Director oder was auch immer vordrängelte und es lieber selber tat, schlecht wie ich fand überdies, aber das ist eine andere Geschichte – und vielleicht war es besser so. Man muss Chopin nicht gekannt haben, um die Mazurkas zu verstehen, tant pis! Doch nun zu seiner Biographie, wir zitieren Booth Moore aus der L.A. Times (die Zitate des Designers sind in Kursiv:
Slimane was a student at the Ecole du Louvre in art history before he came onto the fashion scene in 1996, designing menswear for Yves Saint Laurent, then moving to Dior in 2000. He grew up in Paris, where his mother was a seamstress and his father an accountant. It was weird growing up because half of my family was middle class and half of my family was wealthy, he says. It was the total opposite lifestyle, which I think is why now I always need the high and the low, the street and the social [set]. I was raised like that to go from regular car to a Bentley.
If it were up to him, he’d be driving himself around L.A. in a 1970s lowrider or a vintage sports car, instead of being chauffeured in a sedan. For Slimane, never-ending asphalt is the stuff of dreams, and the inspiration for the Rodeo Drive store.
It is about elongation because the space is very narrow, he says. Instead of trying to change that, I will make it like the highway. It’s a metaphor for the city.
On his last trip to L.A., he tried to enroll in driving school, but it didn’t work out. Still, Slimane is determined to learn, even if it means having a friend teach him in a vacant parking lot.
It seems he’s found his next project.
Last year he released Stage documenting live performances by the Stones, the White Stripes, Franz Ferdinand and others. I especially like the transformation just before going onstage he says. That’s the moment they become rock stars.
When working with Doherty or Jagger, he says, I don’t want to dress them, I want them to tell me something I can do for them. Some of his clients, such as Justin Hawkins from the British band the Darkness, are looking for fantasy stage wear. Like David Bowie in his day, he says. They know exactly what they want, but you have to understand performance and body language. It’s a lot of work, actually, like designing a collection of its own.
Slimane’s collections have cut a wide swath through the music world. Last year, he mined Seattle grunge and glam rock. His spring ’06 collection — shown in Paris last month — riffed on 1980s ska bands with a mod twist. As always, there were the skinniest of jeans, this season held up with narrow suspenders, and paired with black-and-white checkerboard tees or sleeveless shirts with gaping armholes, and two-toned flat-soled creepers. A gold sequined jacket came decorated with the Union Jack and silky baseball jackets were dotted with musical notes.
Like many designers today, he is multitalented and talks enthusiastically about his projects, which span fashion, art and interior design. He has designed ebony and stainless steel furniture available exclusively at the Dover Street Market in London, and he recently completed a residency at Berlin’s Kunst-Werke art gallery. Berlin was the subject of his first book, and the lean look of the young students in the German capital was an inspiration for more than one Dior collection. Early in his fashion career, Slimane plucked models from Berlin streets, satisfying a fascination with spindly physiques that continues with his runway casting today.
(The Los Angeles Times on 27 August 2005, written by Booth Moore, Times Staff Writer)
Man muss sich nun allerdings einer furchtbaren Tatsache stellen: Slimane ist seit 2007 nicht mehr bei Dior, es ist, als verliesse einen der Geliebte, auch wenn sein Geist in seinem Nachfolger Kris van Assche fortzuleben scheint. Aber zitieren wir doch anlässlich dieser Tragödie mal einen meiner werten Kollegen, und ich zitiere wörtlich:
“Can I speak to Mr. Dior please?”, das T-Shirt aus der aktuellen Dior Winterkollektion (Fall 09) ist eines der wenigen Teile, mit dem der Herrensparte des Modehauses Dior seit dem Abschied von Hedi Slimane im Jahr 2007 endlich mal wieder Aufmerksamkeit zuteil wird. Auch wenn der Spruch zunächst cool anmuten mag, so birgt er eine unglückliche Doppeldeutigkeit in sich.
Angesichts der Tatsache, das Kris van Assche, mit seinem Entwürfen für Dior Homme bisher nur wenig Anklang bei Einkäufern und Modepresse findet, lässt sich der Satz auch als verzweifelter Hilferuf eines Chefdesigners deuten, der den Rat des stets stilsicheren Christian Dior bitter nötig hat.
Während sein Vorgänger Hedi Slimane, mit seiner ultraschlanken Silhouette, und den skinny-model-boys die Männemode revolutionierte und mit seinen Glam Rock Chic den Nerv der damaligen Zeit traf, unvergessen seine beiden von Pete Doherty inspirierten Kollektionen für die Saisons Fall 2005 und Spring 2006, verliert sich Kris van Assche in untragbaren, grotesken Entwürfen, die Mann einfach nicht tragen will. (Sakkos mit transparenten Chiffonärmeln irgendwer?).
Von seinem Debüt für Sommer 2008 bis hin zu seiner erst im Juni dieses Jahres vorgestellten Kollektion für Sommer 2010, hagelte es von Modeguru Tim Blanks, stets negative Kritik. Diese verpackt Blanks zwar stillvoll in intelligent gewählte Synonyme, ähnlich eines Arbeitszeugnisses, bei dem hinter jeder blumigen Formulierung, ein vernichtendes Urteil steckt.
V-Ausschnitte bis zum Bauchnabel, voluminöse M.C Hammer Hosen, ungelenke Proportionen, knielange T-Shirts, durchsichtige, billig glänzende Kimonos, kragen- oder ärmellose Sakkos und transparente Hemden, da kräuseln sich bei vielen Männern die Fußnägel. Nicht wirklich tragbar. Überhaupt Transparenz, das sieht am Manne immer unseriös und billig aus. Immer!
Kris van Assches Kollektionen wirken auffällig bemüht, einerseits dem populären Dior Look Slimanes aus kommerziellen Gründen nach wie vor zu entsprechen und anderseits in dem Versuch eine neue, eigene Handschrift zu entwickeln. Nun fragt man sich wie van Assche überhaupt in die privilegierte Situation kam, eine der einflussreichsten modischen Erbschaften des 21. Jahrhunderts anzutreten? Nun der Thronfolger war immer dicht dran am König. Der heute 33-jährige Belgier van Assche arbeitete jahrelang als Design Assistent von Hedi Slimane und bastelte mit ihm zusammen an den Herren Kollektionen für YSL und Dior, bevor er im März 2007 das Zepter bei Dior Homme übernahm. Mal sehen, wie lange er das Regiment dort noch beherrscht.“
Zitat Ende.
Ich selbst schireb zum neuen Mann auf dem Dior-Thron anlässlich der Modenschauen in Paris zur letzten Saison:
„Well, but though surely not at Dior. Diana Vreeland once said “you can´t either be too slim or too rich” – well, and if this doesn´t fit perfectly to the Dior homme man – or boy – les mots me manquent. There is this minuscule quota of refinement and air that is present in all the presented pieces, marking Dior as the most prestigious luxury label after all, and, well, Dior is Dior. Whether it was necessary to preheat the audience with radiators from above is questionnable, though perhaps a nice touch against the sleek coolness that was pervading the air right from the beginning of the toned down and fine cut presentation. The techno music was surely debatable. It´s this extra little edge that Kris Van Assche put into the collection with his asymmetrical, geometric cuts and a touch of upper-class-punk, of course taking refuge into black and white, and black and white it is. Those gloves with the white-stiched, highlighted indexfinger-pieces might well be the most stunning accessoire seen this whole season. But again, those, who look best in the clothes, will have to steal them. The gap between wearability and presentation is a Grand Canyon – but can well be overlooked from the aesthete´s point of view.
If there would be something as Haute Couture pour Homme, Dior would be the perfect thing – sans doute.“
Slimanes Geist scheint bei Dior jedenfalls weiter zu wandeln, und das ist ein schwacher Trost, aber eins bleibt ohne Zweifel: Wenn es eine Ikone der Mode der letzten zehn Jahre gäbe, Hedi Slimane hätte gute Chancen, dazu erklärt zu werden – nun: Ich erkläre ihn dazu.
Harald Nicolas Stazol for Dare Magazine, 9/9/09