Harald Falckenberg – ein Portrait

Da steht er, der berühmteste und einflussreichste Kunstsammler Norddeutschlands, und ist umgeben von Frauen, Verlegersgattinnen, nicht von den „Verlegern“, die er am Abend vorher, bei der Vernissage in den Deichtorhallen, noch hoffnungsfroh angekündigt hat. Nun dämmert es ihm, dass er von den Gattinnen umschwärmt wird, und auch wenn sich seine Augen ab und zu und kaum merklich weiten, als eine der Damen von dem Mangel an „Positivem in der Kunst“ spricht, eine Äusserung, die den Kunstexperten dann doch subkutan entsetzt, wahrt er die Fassung, erzählt einfach weiter, der Mann mit der Sammlung sammelt sich, er führt einen Diskurs fort, den er selbst anstossen musste, denn von den Damen kommt nichts.
Airdrawing, Collection Falckenberg

Elegant sind sie, zugegeben, die Damen, auch Falckenberg entgeht es nicht, aber da ist dieser Wunsch, den er nicht ausspricht, dieses Sehnen nach Kompetenz, das, was er „die Abbildung der Gesellschaft in der Kunst, die immer ein Spiegel des Systems ist“ nennt. Sie perlen heraus, diese Äußerungen, aus dem Mann, der rein körperlich eine nicht zu unterschätzende Präsenz hat. Eingeladen hat er, diesen Freitag Nachmittag, in seine Sammlung, und dann schreitet er, „ich bin ja nicht Ludwig II.“ sagend, eine wirklich schöne, weißlackierte Treppe hinab, verfolgt von Verlegersgattinnen. Es ist ein wenig so, als ob die Kunst selbst, wäre sie eine Person, eine junge, hübsche Göttin, die beständig um ihren Wert fürchtet, eine Treppe hinabgleitet. Immer schneller, bevor sie von der Bourgoisie erreicht wird, einer Nymphe gleich, die Verehrer auf den Fersen.

Vielleicht ist Falckenberg auch ein Faun, ein wortwitzliebender, ein fabulierender Faun der Kunst, und dies ist sein immerwährender Nachmittag, gleich nach der Postmoderne womöglich, „ich sammele ja auch erst seit elf Jahren“. Noch heute spricht er von dem Elend, das den Hamburger Kultursenat heimsuchte, als „Madam Horrorkova“ amtierte – „ich habe sie immer so angeredet, während sie von der Schrottkunst sprach in den Deichtorhallen, davon wisse doch jeder“, dann lacht er wieder, und er weiß, dass er einsam ist in seiner Kompetenz, auch wenn er immer „ich bin doch ein Laie“ sagt.

Dass er kein Laie ist, steht zu vermuten, und ganz im Geheimen weiß er es wohl selbst: „Ich bin Amateur, das ist etwas ganz anderes, ein Liebhaber der Kunst.“ Wenn er vor einer Video-Installation steht, dass das malträtierte Geschlechtsteil eines Mannes ziemlich groß auf den Bildschirm bannt. Wie schade, dass er nicht sehen kann, wie die Bourgoisie in Gestalt der Verlegersgattinnen (einige sehr nette sind darunter, kein Zweifel) mit einem kurzen Aufflackern ihrer Augen dann doch erkennen, was da gezeigt wird, um dann schnell die Augen niederzuschlagen, schnelleren Schrittes nun. Und dass er nicht hört, wie zwei Damen hinten in seinem „geschlossenen Lager“, noch mehr Arbeiten, bis an die Decke gestapelt dort, atemlos japsen, „die Werte, die Werte, was gibt es hier für Werte.“

Tonio Kröger kommt einem in den Sinn, die Passage, in der er von seiner Künstlerfreundin zum Bürger erklärt wird, und sagt, „Ich bin vernichtet“ – „Ich bin ein Spiesser“ sagt Falckenberg später, natürlich nur zum Schein, weil er sich sehr darüber freut, wenn ihm darin widersprochen wird.

Widerspruch scheint er nicht gewöhnt, dieser Mann, der da gerade im Dunkeln steht in einer Installation, die nicht funktioniert. „Der Auslöser löst nicht aus“, sagt ihm seine Assistenin, Und er: „Dann machen wir den Raum eben zu, sowas ärgert mich, zehnmal war ich jetzt schon hier und zehnmal ging der Apparat nicht“, sagt´s und droht schon ein wenig. Doch die sturmumwölkte Stirn lichtet sich sofort, schon lacht er wieder, und das ist vielleicht eine seiner schönsten Wesenszüge – dass er sich immer sofort zurücknimmt, Raum läßt für sein Gegenüber, Verlegergattin oder nicht. Man möchte ihn nicht zum Feinde haben, diesen Mann, und man kann es auch nicht: Wie ein kleiner Junge wirkt er manchmal, wenn er vor seiner Kunst steht, nun ein riesiges Werk aus zwei zusammengesetzten Leinwänden, von denen die obere in vier Meter länge etwas von der Wand absteht und der nahtlose Anschluss optisch zum unteren Teil nicht funktioniert, da langt er zu. Geht ganz selbstverständlich hin an die Wand und fasst die Leinwand an, mit lässigem Kuratorengriff, nur schneller, greift die untere, rechte Ecke und rückt sie zurecht – wie ein Knabe, der seine Lokomotive auf die Schienen seiner Elektroeisenbahn setzt, bestimmt, zart entschieden und in-sich-gekehrt.

Dass „die Architektur einen ständigen Kampf gegen die Kunst führt“ sagt er dann, und wie „der Ungers in der Galerie für Gegenwart wirklich ein Minimum an Kunstraum geschaffen hat, da gibt es doch kaum Wände“. Und wie man seine Treppe fände, die weißlackierte, „die sollte noch viel länger werden, dann habe ich mit dem Architekten gestritten, zwei Stunden lang, was brauche ich so eine Treppe, habe ich gesagt, ich bin doch nicht Ludwig II“, soll er sie doch reinbauen, er würde sie dann einfach wieder rausreissen.

Und plötzlich ist da die Vorstellung, wie Harald Falckenberg hemdsärmelig ein Paar Gemälde umhängt und eine weißlackierte Treppe mit der Axt einkürzt, weil sie ihm sonst zu lang wäre. Man traut es ihm zu, wirklich. Wahrscheinlich wird er dabei ein wenig fluchen, laut. Auf den Flick-Kurator schimpfen, „nicht auf Flick, wohlgemerkt, mit dem bin ich befreundet“, den Kurator also, der die Ausstellung in Berlin „wie einen Werkzeugschuppen“ aussehen liesse, und er noch nie etwas gehört hätte von der Minimalismus-Regel, „One work one room“. Wird fluchen über „geldgeile Galeristen“. Und dass „der Auslöser der Auslöser war, der die Arbeit sonst auslöst, sie nicht auslöste“.

Und dann wird er wieder losgehen und ein paar Arbeiten kaufen. Und wer soll sich später um die Kunst kümmern, wenn der Vertrag ausläuft, im Phoenixwerk in Harburg, 2011? „Am besten ist doch, man stirbt rechtzeitig“, meint er dann. „Soll sich jemand anderes damit abplagen.“

Man wird lange suchen müssen, um ihn zu ersetzen, soviel steht fest. Am besten, es wäre Ludwig II.