Wednesday, November 23, 2005, 13:52
Curators take command
Vor fast genau zehn Jahren sagte der Mitbegründer der „Texte zur Kunst“ Stefan Germer in seiner genial-treffsicheren Polemik „Unter Geiern“ den Usurpatoren kontextueller Positionen den Kampf an (Texte zur Kunst, August 1995). Es ging um Künstler auf Abwegen, freche Sammler sowie Kuratoren, die ihre Aufgabe, der Kunst Geltung zu verschaffen, mit der Verfolgung ureigener Ideen und Interessen verwechseln: „Curators take command“. Mit letzterer Spezies wollen wir uns beschäftigen. Es gibt naturgemäß Leistungen und Fehlleistungen aller Art in diesem Bereich. Unser Augenmerk gilt Kuratoren, die – nicht besser oder nicht mehr weiter wissend – in ihrer Not einfach Ordnung schaffen in der Kunst, diese einteilen und sortieren. Hier einige exemplarische Fälle fehlgeleiteter Ordnungsvorstellungen:
Ein eindrucksvolles Beispiel, sozusagen die amerikanische Variante kuratorischer Brachialgewalt, bot die 1998 nach New York und Houston/Texas im Kölner Ludwig Museum gezeigte Retrospektive von Robert Rauschenberg. Köln musste die strengen Auflagen der amerikanischen Kuratoren Walter Hopps und Susan Davidson befolgen und, begleitet von einem kiloschweren Katalog, mehr als 500 Arbeiten von Rauschenberg in Reih und Glied und in exakter chronologischer Abfolge auf Jahr, Monat und Tag genau präsentieren. Es gab keine Gewichtung und keine Bewertung des Werkes. In seiner Eröffnungslaudatio entschuldigte der damalige Direktor des Museums Ludwig, Jochen Poetter, das vermeintliche Fehlen des Künstlers. Er sei in der Stadt, habe es aber vorgezogen, im Hotel zu bleiben. Erst auf Zuruf eines Gastes bemerkte er Rauschenberg, der nachdenklich und skeptisch in der Tür zum Festsaal lehnte. Der Künstler sah keinen Grund, sich feiern zu lassen.
Um Schweizer Präzisionsarbeit ging es 2003 bei der Dieter-Roth-Retrospektive anlässlich der Eröffnung des kolossalen Schaulagers Basel der Emanuel-Hoffmann-Stiftung. Dieter Roth war ein Künstler, der Unterschiede wie Raum/Zeit, Unten/Oben konsequent missachtete und jahrelang an Arbeiten feilte. In Basel ging es geordnet zu. Die Schokoladenbilder, die Malereien, Installationen, Skulpturen, Multiples und die gemeinsamen Arbeiten mit Richard Hamilton waren sorgfältig voneinander getrennt und in Abteilungen zusammengestellt. Die Kuratorin Theodora Vischer stand den Besuchern am Ende des Parcours Rede und Antwort. Auch das Schaulager kam zur Sprache. Über den Bestand der Sammlung Hoffmann gibt es keinen Katalog und nur wenige Künstlernamen. So lag der Wunsch nahe, einmal in die Lagerräume zu schauen. Nein, war die resolute Antwort. Die Arbeiten wären nur Forschern und Studenten für wissenschaftliche Zwecke zugänglich, Interessenten würden in einen videoüberwachten Raum geführt, in dem sich die gewünschte Arbeit befände, sodann werde der Raum für die Dauer des Aufenthalts von außen verschlossen. Mancher Besucher sinnierte noch über dieses rigide alemannische Modell und Möglichkeiten einer Re-Immatrikulation, als Richard Hamilton auf den Plan trat. Theodora Vischer: „Hey Richard! How did you like the show?“ – „Oh, quite nice, but I did not recognize Dieter!“ Darauf prompt die Replik: „I have expected this comment, but, please understand, Dieter died five years ago and it’s now the job of us art historians to bring order into his work.“ Hat geklappt.
Preußischer Hang zu Gloria und deutscher Ordnungssinn kennzeichnen die ersten beiden Ausstellungen der Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof. Nach der ersten großen Übersichtspräsentation 2004 jetzt im Oktober 2005 die erste thematische Ausstellung unter dem Titel „Fast nichts – Minimalistische Werke aus der Friedrich Christian Flick Collection“. Fünf weitere sollen im Jahresrhythmus folgen. Die Flick Collection zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Sammlungen der Gegenwartskunst, und Friedrich Christian Flick hat sich entgegen landläufiger Meinung bei ihrem Aufbau nicht nur finanziell, sondern auch persönlich in hohem Maße engagiert, um hochkarätige Werke von musealer Bedeutung für die Sammlung zu sichern. Es bleibt die Frage nach dem Umgang mit der Sammlung im Hamburger Bahnhof. Im Vorwort des Katalogs zu „Fast nichts“ verkündet der Generaldirektor der Berliner Museen Peter-Klaus Schuster: „Privatsammlungen entstehen nach ihren eigenen Gesetzen, die eng mit den Neigungen des Sammlers zusammenhängen. Im Museum wird dieser besondere Charakter in den Gesamtzusammenhang einer kunsthistorisch begründeten Ordnung gestellt.“ Kurator Eugen Blume ergänzt: „Ein Problem liegt im geschichtlichen Kontext, in dem jedes Kunstwerk steht.“ Richtig. In staatlichen Institutionen müssen die Kunstwerke und Künstler in den Mittelpunkt rücken. Dies gilt im Besonderen für die Flick Collection, die aufgrund der langen öffentlichen Auseinandersetzungen wie kaum eine zweite private Sammlung über die Person und den Namen des Sammlers definiert ist. Flick hat in seiner Eröffnungsrede zu „Fast nichts“ – von Blume bestätigt – betont, dass er sich nicht in die kuratorische Arbeit einmische und dies auch in Zukunft nicht zu tun gedenke. Aufgrund der „politischen“ Ausgangslage spricht einiges dafür, dass dies so bleibt. Damit sind wichtige grundsätzliche Fragen aber nicht gelöst. Insbesondere die räumliche Aufteilung des Hamburger Bahnhofs in Sammlerbereiche und die Verpflichtung, in den sieben Jahren einen umfassenden Überblick über die Flick Collection zu vermitteln, sind Vorgaben, die die von Schuster postulierte museale Aufarbeitung alles andere als erleichtern.
Die Ausstellungsmacher haben sich deshalb viel vorgenommen. Allein, wo bleiben die Taten? Schon die Übersichtspräsentation ließ die kunst- und gesellschaftshistorischen Bezüge völlig unbeachtet. Sie bot eine Art Leistungsschau bedeutender Werke der Sammlung und vermittelte so den fatalen Eindruck einer Instrumentalisierung der Kunst für ein öffentliches Spektakel. Unter dem Titel „Fast nichts“ sind jetzt minimalistische Werke aus der Sammlung zusammengefasst, Werke, wie Blume sagt, die über ihre reduktionistische Tendenz zu formaler Einfachheit, Strenge und Stille charakterisiert sind, mit Arbeiten der klassischen Minimal Art von Carl Andre, Dan Flavin und Robert Morris als zentrale Positionen. Dass „specific objects“ von Donald Judd – immerhin Kopf der Bewegung – fehlen, mag persönlichen Abneigungen des Sammlers oder Widrigkeiten des Marktes zuzuschreiben sein. Verblüffend die Auswahl im übrigen. Altmeister wie John Cage und László Moholy-Nagy, die Konzeptkünstler On Kawara, Joseph Kosuth und Sol Le Witt, Größen wie Bruce Nauman, Richard Serra und Cy Twombly, die jungen Künstler Toba Khedoori, Jeroen de Rijke/Willem de Rooij, Anri Sala und viele mehr, insgesamt 31 Positionen, die ohne inhaltliche Bezüge in fast beliebiger Abfolge platziert worden sind. Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass der Kunst der 60er und 70er Jahre trotz aller Unterschiede doch eins gemein war: die entschiedene Ablehnung der herrschenden Kunstvorstellungen mit ihrem Meister- und Geniekult und der Ausstieg aus der Malerei, dem Sinnbild der Repräsentationskunst. Speziell der Minimal Art ging es darum, mit ephemeren Mitteln (primary structures) Räume zu dynamisieren und ortsspezifisch neu zu ordnen. Die Berliner Präsentation wird diesem zentralen Anliegen der Minimal Art nicht gerecht. Die Rieckhallen mit ihrem White-Cube-Charakter gehen keine Beziehung zu den ausgestellten Kunstwerken ein, ja isolieren diese von der Umgebung.
Und so ist es wie schon bei der Eröffnung 2004. Die Kunstwerke – besonders auffällig die schon fast sakrale Präsentation der auf Intervention und Bruch von Symmetrien abzielenden Arbeiten von Robert Barry und Blinky Palermo – werden als bedeutend und erhaben zelebriert. Der Betrachter schreitet von Arbeit zu Arbeit und staunt, was sich dort alles versammelt hat. Kein Hinweis darauf, dass es vielen, fast der Mehrzahl der in der Sammlung vertretenen Künstler darum geht, dem Bedeutenden und Erhabenen der Kunst eine an Alltäglichem und der sozialen Praxis gemessene kritische Haltung entgegenzusetzen. Das künstlerische Credo der Bedeutungsverweigerung auszublenden, mag in der Logik der Flick Collection liegen, die Aussteller aber werden dem selbst gestellten Anspruch nicht gerecht. Ihr Konzept, über das Kriterium der Reduktion formal-äußerliche statt inhaltliche Ordnung herzustellen, hat sich als untauglich erwiesen. „Fast nichts“ deutet, so gesehen, weniger auf die ausgestellten Werke als auf die Leistung der Kuratoren.
Harald Falckenberg
09.11.05