Es gibt Hemden, die sehen aus als wären sie an einem Stück gemacht und es gibt sie eigentlich nur bei Charvet, Place Vendôme in Paris. Dort geben sich Präsidenten und Könige die Tür in die Hand, wenn sie die elegantesten Monsieurs sein wollen – die Eleganz ist hier etwas Habhaftes: Sie legt sich wie feiner Dunst sieben Stockwerke über das Haus Nr. 28, und dieses kleine Palais mit dem geschwungenen Schriftzug an der Tür, Garant dem Gentleman für höchste Bedürfnisse, hat man gewissermassen auf dem guten Geschmack ganzer Generationen gebaut. Man achtet auf alles, die feinsten Bedürfnisse des Mannes, und das seit 1838 – schließlich war man hier schon für des Kaisers Kleider verantwortlich, jawohl, Napoleon Bonaparte höchstselbst liess sich hier ausstatten, und dann eigentlich jeder, der auf sich hielt. Man kleidete das Ancien Régime genau wie den Sozialisten Mitterand, aber wir greifen voraus, und die Liste der Berühmten und Berüchtigten, der Monde und Demi Monde, die Kunden sind und waren, nun, sie ist lang. Was gibt es hier nicht alles, nur die hohe, goldverspiegelte Glastür geöffnet und hereinspaziert – die Sonne im Emblem unter dem geschwungenen Schriftzug ist das Symbol des Sonnnenkönigs, Ludwig IVX, er liess den Platz einst erbauen. Nicht umsonst ist man hier als „der größte Künstler der Welt“ bezeichnet worden, von Marcel Proust persönlich, ach nein – der „größte Künstler der Schöpfung“ – und wenn das ein Pariser sagt, ein Literat von Weltrang zudem, der größte Romancier womöglich aller Zeiten, dann hat man hier allen Grund, stolz zu sein.
Und eben die schönsten, besten, raffiniertesten Hemden zu schneidern, die sich denken lassen. Zu schweigen ist von der legendären „Mur des Blancs“, der Mauer des Weiss, mit den 400 verschiedenen Stoffen in 104 Schattierungen Weiss. Kaum jemand weiss, dass hier die linke Manschette stets ein wenig weiter genäht wird, weil ja die Armbanduhr noch passen soll unter den Stoff – es sei denn, das Hemd ist für den Abend im Maxim etwa, da trägt man flachere Schmuckuhren, auch daran will gedacht sein, und es gibt Kunden, die ordern ihre Chemises nach diesem zweierlei Mass. Man war auch, es muss gesagt sein, der erste „Chemisier“ der Welt, man hat einen Kragen „H.R.H“ enworfen für Edward VII., der so begeistert davon war, dass er das Haus „über 40 Jahre lang mit spezieller Güte“ bedachte. Der Maharaja von Patiala orderte erstmal 86 Dutzend Hemden, der Künstler Raoul Dufy wurde im Art Déco für Dessins beschäftigt, Dandys, Diners… und ja es gibt auch Damenblusen, aber von ihnen soll hier nicht die Rede sein.
Im Jahr 1893 lässt sich der Dichter Paul Verlaine in „einem sehr schönen Charvet-Schal“ ablichten. In „Auf der Suche nach der velorenen Zeit“ erwartet der Held Marcel 1919 den Lunch mit Swann, „indem er von Zeit zu Zeit den Knoten seiner wundervollen Charvet-Krawatte lockerte und fester zog“, der französische Präsident Paul Deschanel war für seine Krawatten bekannt. Schon 1908 gewinnt man den Grand Prix der Londoner Weltausstellung. Jean Cocteau nennt die Marke „magisch“ und dass sie seien, „als fände der Regenbogen dort sein Vorbild“. Der Impresario der Ballets Russes, Sergei Diaghilev schwört auf die Hemden ebenso wie der gesamte Jockey Club, der exclusivste Privatclub von ganz Paris. Den natürlich komplett Charvet beliefert – und zu dem einer der Geliebten George Sands, Alfred de Musset, trotz seiner Eleganz nie Zutritt fand – Charles Baudelaire, Eduard Manet und Jacques Offenbach schon. Sicherlich hilfreich für dern Erfolg des Hauses ist unter anderem die Tatsache, dass dem Kunden die Garderobe zur freien Auswahl nach Hause geschickt wird, wo er in Ruhe sichten, anprobieren und aussuchen kann, ein Service, den man bald als „Méthode Charvet“ bezeichnen wird und ein Service, den man heutzutage wohl noch kaum finden wird.
Alles begann mit Christofle Charvet, der für seinen Laden erstmals die Bezeichnung „Chemisier“ wählt. Zuvor werden von Leinenbewahrern aus den gelieferten Stoffen des Kunden gefertigt, nun, Charvets jetziger Ansatz des Maßschneiders ist radikal neu und revolutionär. Die Erfindung des abnehmbaren Hemdkragens wird ihm genauso zugeschrieben wie die heute allgemein übliche Kragenform überhaupt, und man beehrt sich an der Place Vendôme 28 noch heute, jedweden Abnutzungsspuren an Kragen oder Manschetten wieder neu nach Wahl gefertigt werden – Charles de Gaulle selbst trug nichts anderes. Und so ist es wohl auch wenig verwunderlich, dass eine Charvet-Krawatte zum Wertvollsten in der Garderobe eines Gentleman gehört, dass sich denken lässt. Als man einmal Baron Phillipe de Rothschild von einem rosa Ton abraten will, sagt er „wer, wenn nicht ich?“ Und ja, gäbe man je sein letztes Hemd, man hoffte, es sei eins von Charvet.
HARALD NICOLAS STAZOL