Statt einer Stellungnahme

Versuch einer Erklärung

Schreiben Sie bloß kein Buch! Im Land der Meinungsfreiheit gibt es eine ganz geheim-gemeine, fast unsichtbare Grenze, die nicht überschritten werden darf. Auch wenn es sich ausgewiesenermassen um eine Satire handelt. Was ich immer so gesehen habe. Man darf keine Charaktere entwickeln und ich kann gar nicht oft genug dementieren, dass manche Personen in meinem letzten Werk nur als Gemmen dienen, als Vorgaben, quasi Symbolcharakter haben – Thomas Mann machte sich bei seiner Familie und den ihm Nahestehenden sehr unbeliebt, weil er sie als Vorlagen nahm. Ich glaube, am schlimmsten trieb er es, als er für seinen Dr. Faustus den kleinen Jungen, eigentlich seinen heißgeliebten Enkel Frido, aus dramaturgischen Gründen an einer Hirnhautentzündung sterben ließ. Ich hab keinen Enkel, ich bin nicht Thomas Mann, aber die Reaktionen auf „Ich bin gerne Deutscher“ sind schon sehr dramatisch. Das Gängeviertel in Hamburg, selbsternannter Hort der Toleranz, lud mich zur Lesung ein und wieder aus. Eine Unternehmensberaterin (mehr steht da nicht), fühlt sich erkannt, eine Blattmacherin, verschiedene Künstler, und anstatt sich geschmeichelt zu finden oder über sich selbst zu lachen – ich bin ja kein böser Mensch, wirklich nicht, und schon gar nicht gehässig, so hoffe ich – werde ich nun geächtet. In einem gewissen Magazin werde ich nun nicht mehr veröffentlicht, wobei es mir schwerfällt, darin einen Verlust zu sehen, denn Geld gab´s dafür nie,und es ist ja nicht das einzige, von Frauenzeitschriften bis zu Nachrichtenblättern reicht die Ächtung, man versichert mir, allerorten stets meinen Leumund verteidigt zu haben, was ich nur recht und billig finde – aber ich kann ja nichts für meinen Blick auf die Welt, für die Schärfe meiner Beobachtungen – und ich kann mich, das ist ein Menschenrecht, ja, mein Recht als Mensch, ich kann mich auch irren. Ich tue es nur selten. Und das ist, scheint´s, ein Problem.

Der Blick aus den Kulissen auf´s Publikum ist ähnlich spannend wie der hinter die Kulissen, und wahrscheinlich verbittert mich auch manchmal die Härte der Gesellschaft. Ich will jetzt nicht auf hohem Niveau klagen, schließlich habe ich mir die Chronistenrolle ja auch selbstgewählt, aber es ist im Grunde ja ganz einfach: Man behandle mich mit der nötigen Umsicht und mein Stück wird liebevoll und gut. Ich schreibe, noch ein Fehler, ja manchmal wirklich nur vor mich hin. Aber ich empfinde mich als ziemlich harmlos. Wenn ich da den Presseklub sehe, bei dem um 12 Uhr Sonntags mal eben genüsslich der Wirtschaftsminister, der Außenminister und ihre kränkelnde Partei zerlegt, nein, eigentlich vernichtet werden – dagegen bin ich doch nichts. Wenn die Fussballkommentatoren sofort von einem Formtief reden, was den Spieler dann, am besten gleich die Mannschaft, desavouiert. Auf ewig. Urteile, Einschätzungen, Wertungen – und alles nur in einem Kontinuum von Gleichzeitigkeit, medial aufgewärmt – darin besteht die eigentliche Grausamkeit. Ich sehe die Dinge, die Menschen manchmal einfach ziemlich klar, so glaube ich – aber man wird für nichts mehr bestraft, als wenn man die Wahrheit beschreibt. Ehen, die geschlossen werden, von denen man ahnt, dass das nicht gutgehen wird, aber trotzdem geht man zur Hochzeit. Vorstandsvorsitzende zweifeln an der Bonität eines Unternehmens und der Aktienkurs stürzt ab. Und über mich selbst, davor habe ich meine Muse wiederholt gewarnt, gibt es die unglaublichsten Geschichten. Viele davon wahr, aber viele eben auch nicht. Eine gewisse Distanz zu sich selbst erschiene mir manchmal erstrebenswert, ich verlange sie mir ab, und ich fände sie auch bei manch anderem wünschenswert. Ich parliere gern, und oft sage ich die Dinge so auf den Punkt, dass kein Auge trocken bleibt. Man muss mich nicht lieben, man muss mich nicht mögen, man muss mich nicht hassen. Ich weiß, was ich empfinde. Ich weiß genauer, was man für mich empfindet. Ich weiß, dass man vor Thomas Bernhard Angst hatte, obwohl seine einzige Waffe die Feder war, und ich höre, dass man nun vorsichtiger mit mir spricht oder mir Dinge nicht mehr sagt, weil ich sie erwähnen könnte. Das ist etwas anderes, als wenn die Muse den wahren Preis eines Schmuckstückes nicht verraten will. Oder sagt, dass sie mich nunmal nicht liebe (das glaube ich ihr übrigens nicht). Und ich habe von frühester Kindheit an immer die Ambivalenz der Dinge gesehen. Wäre ich damals zur Vogue gegangen, nach München, wäre ich jetzt wohl tot. Bekokst vor einen Bus in Manhattan gelaufen. Und ich hätte die Muse wohl nie kennengelernt.

Man kann mir, im doppelten Sinne, sagen, was man will. Aber ich darf dann auch denken, was ich will? Ich darf nur nicht schreiben, was ich will, so scheint es. Huch, jetzt habe ich es doch wieder getan. Sorry, sorry, sorry. Mea Culpa, mea maxima. Ich hör jetzt am besten auf. Und nichts für ungut, ihr Lieben.

Harald Nicolas Stazol

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