Me, Kate and Alexander McQueen

@05 Lauftext:
Es ist, als hätte ein Meteorit in die Modewelt eingeschlagen, „einer der strahlendsden Sterne ist erloschen“ schreibt die „Times“, die New Yorker Fashion Week steht unter Schock: Alexander McQueen (40) begeht Selbstmord. Niemand weiss warum, neun Tage zuvor starb seine über alles geliebte Mutter, sein Verhalten, so sagen es enge Freunde sei letzlich „erratisch“ gewesen. Grossbritannien, genauer, seine Modewelt, gerade erst, vor 15 Jahren etwa, auf der Weltbühne erschienen, durch ihn, das Genie im Schottenrock, „Givenchy ist irrelevant“ hat er mal gesagt, nun, sie wird untergehen. Nicht gleich, nicht sofort, aber der Leichnahm des „Meisters des Phantastischen“ um 14.46 Uhr unter kastanienbrauner Decke weggetragen wird, vor seinem Haus, Rotklinker, sechs Stockwerke, Green Street in Mayfair – dort hat er gelebt. In einem Apartment, für das er von seinen geschätzt 20 Millionen Pfund 640000 ausgab – dieser Mann war die Hoffnung. „Er war ein Genie“, sagt Katherine Hamnett, Kate Moss, seine enge Freundin sagt alle Termine ab und sitzt zuhaus und weint. Sie war seine Brautjungfer, als er auf der Höhe seines Ruhms auf der Yacht eines afrikanischen Prinzen den Dokumentarfilmer Georg Forsythe heiratet – die Beziehung scheitert kurz danach. Vor dem Stadthaus in Mayfair steht ein blonder, kurzhaariger Mittdreissiger, er weint, er telefoniert, sein letzter Freund.
Alexander McQueens Geburtsstunde ist seine Schau „Highland Rape“, er schickt Models in Karos, messerscharf geschnittenen Röcken und Jacken über den Laufsteg, Mädchen, die aussehen, als wären sie gerade von englischen Kolonialtruppen vergewaltigt worden, die Saison Herbst/Winter 1995 – niemand im Publikum unter dem Zelt der London Fashion Week wird diese Schau je vergessen. Es ist, als hätte Coco Chanel nie gelebt. Zwei Wochen später, auf den Schauen in New York werden sich vor Ralph Lauren an der Madison Avenue die Journalisten atemlos zuraunen, dass es da ein „new hot kid“ aus London gibt. Die tiefst ausgeschnittenen Hosen, die er kreiert, beeinflussen die Jeansschnitte bis heute.
Scheu war er, der Sohn eines Taxifahrers und einer Lehrerin, das sechste Kind, mit 8 weiss er, dass er schwul ist, mit 16 fängt er als Schneiderlehrling bei Gieves & Hawkes an, später geht er zu Anderson & Sheppard, hier ist es, das er ins Ärmelfutter für einen Anzug des Prinzen von Wales die Worte „I am a cunt“ schreibt – man übersetzt es besser nicht. Als er sich für eine Stelle an der renommierten St. Martin´s School of Design als Tutor für Schnittmuster bewirbt, legt man ihm nahe, dort zu studieren. Und dann geschieht es: Eine Frau sieht seine erste Kollektion, Isabella Blow, die Dame, die bei ihrem Blatt, dem „Tatler“, schon mal mit einer öltropfenden Motorradkette um den Hals erscheint. Sie ist es, die die ganze Kollektion vom weg Fleck kauft, sie wird seine engste Freundin, bis sie 2007 wegen einer Krebsdiagnose Unkrautvernichter trinkt, Gerüchte über einen Bruch zwischen den beiden entbehren jeder Grundlage. Von da an geht alles sehr schnell. Es gelingt ihm diese so seltene Verbindung in der Mode: Avantgarde und dennoch kommerziell erfolgreich zu sein. 1996 ruft man ihn zu Givenchy, er folgt John Galliano, wo er die schwarzen Kleidchen, die einst Audrey Hepburn trug, zum Entsetzen der Pariser Kundinnen durch wilde Fetzen ersetzt. „Es interessiert mich nicht, ob ich gemocht werde“, sagt er einmal. Dann, im Jahr 2000, verkauft er 51 Prozent seiner inzwischen etablierten eigenen Linie an die Gucci Group, wird dort Kreativdirektor und sehr reich – Mama Joyce kauft er sogleich ein Haus. Eigentlich ist er jetzt auf der Höhe seines Ruhms, er lässt sich mit Naomi Campbell ablichten, seine Kleider finden an Gwyneth Paltrow, Cameron Diaz, an Beoncé und Lady Gaga weltweit auf den roten Teppich – und eigentlich könnte es immer so weitergehen, jeder behauptet jetzt sein Freund zu sein, bis zu jenem tragischen 11. Februar eben. Und eine Frage bleibt, und sie ist traurig: Da, als er sie am meisten gebraucht hätte, seine „Freunde“, in der schlimmsten Woche seines Lebens, in dem Moment, da er sich die Schlinge um den Hals legt – wo sind sie denn jetzt, an jenem Tag? Dem Tag, an dem er sie am dringendsden braucht? Au revoir, Alexander. Du wirst uns fehlen!
HARALD NICOLAS STAZOL

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