IMPOSTORS REVISITED – oder warum Hochstapler hochstapeln – as published in Kultur und Gespenster

Ȇbrigens erscheint die Prahlerei als eine Vorspiegelung nicht
vorhandener Vorzüge, der Prahler aber als einer, der, auf dem Hafendamm
stehend, den Fremden erzählt, dass er viel Geld auf dem Meer habe. Und
er schildert genau die Bedeutung des Seezinses und wieviel er gewann und
verlor. Und während er so den Mund vollnimmt, schickt er einen Sklaven
zur Bank, wo er eine Drachme als Guthaben hat« (Theophrast, Charaktere,
um 300 v.Chr.)

»The charges carry maximum prison terms totaling 150 years, and dozens
of Mr. Madoff’s victims have urged Judge Denny Chin of the Federal
District Court in Manhattan to give him the maximum sentence. Mr. Madoff
is scheduled to be sentenced on June 29.« (New York Times, 19th of June
2008)

»Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert, Ist wie ein Tier, auf dürrer
Heide Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt. Und rings umher
liegt schöne grüne Weide.« (Mephisto)

Es gibt 65 000 000 000 und einen Grund, den kleinen Bernie Madoff zu
hassen: Die Summe von 65 000 000 000 Dollar in Worten, man fasst es
kaum, fünfundsechzig Milliarden Dollar. Im Amerikanischen spricht man
sogar von 65 Billionen, 1 Billion ist im Angelsächsischen unsere
Milliarde – diese schier unfassbare Summe, jenseits jeglicher
Vorstellungskraft, hat er seine Opfer gekostet – doch der eine übrige
Grund ihn zu hassen, ist sein Lächeln, als er am 11. Dezember 2008 in
New York City vor Gericht erscheinen muss: Endlich hat der Staat, haben
die obersten Finanzbehörden sich durchgerungen, ihn, den kleinen Bernie
aus dem Verkehr zu ziehen, den Jungen aus Queens, der es so weit
gebracht hat, und nun als vielleicht größter alleiniger Profiteur der
gesamten Finanzkrise in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird. Und
noch immer ist ihm das Glück hold – er darf mit einer Fußangel,
elektronisch überwacht, in seinem 7,4-Millionen-Dollar Penthouse,
seinen Hausarrest absitzen, bis auf weiteres. Madoff gehört zu den ganz
Großen in einer Kette von Großen, Größeren und auch mal Kleinen, den
Luden, Spielern und Heiratsschwindlern – eins sind sie allesamt:
Hochstapler. Es gibt sie überall: Der in Deutschland zur Zeit
brisanteste Fall ist der eines Weinhändlers, der gut unterrichteten
Kreisen zufolge über sieben Jahre lang antiquarische Etikette drucken
ließ (den Namen zu nennen ist wohl unnötig, außerdem ist der Mann
sehr klagefreudig…), um aus billigem Fusel jahrhundertealte
Qualitätsweine zu fingieren, was Hélène de Rothschild bis auf den
heutigen Tag entsetzt – man schätzt, dass der Gute sich so etwa 90
Millionen Euro erschwindelte. Doch vielleicht gelingt es uns, am Fall
Bernie Madoff, einige der typischen Charakteristika herauszuarbeiten.
Dies ist keine einfache Aufgabe, und vielleicht gelingt es auch nicht
immer sofort, die roten Fäden zu einer Typologie zusammenzuweben, aber
das Erkennen eines Hochstaplers ist ja schließlich auch für
Außenstehende ein durchaus schwieriges Unterfangen.
Beginnen wir unsere Suche also beim Finanzier: Wie bloß hat Madoff sich
in seine so gewinnbringende Position gebracht? Nun, etwa so: 1. Man
sucht sich als Amerikaner jüdischen Glaubens – und schon hier sei vor
Antisemitismus gewarnt, im Madoff-Fall sind die Rollen klar geteilt,
oder eben vereint, doch weiter – man sucht sich Vertraute in seiner
Glaubensgemeinschaft, Geldgeber, die nach dem Motto »Oh, Bernie ist so
bescheiden, so still, so nett und außerdem gehört er zu unserer
Mischpoke« handeln. Eines seiner Opfer wird später sagen, ob all des
vernichteten Privatvermögens aus jüdischer Hand: »Was Hitler nicht
geschafft hat, hat Madoff geschafft!« 2. Man mache sich rar: Wer zu
Bernie vorgelassen wird, in sein Allerheiligstes, das »immaculate
office«, ein weißes Refugium im 18. Stock des Lipstick Building in
Manhattan, natürlich an bester Adresse, der hat es geschafft, der
gehört zum erlauchten Kreise. Dort, wo der Magier 16 bis 18 Prozent
Rendite verspricht. Selten unter 100 000 Dollar Einlage, so wie es
Carmen del`Orifcie, immer noch eine der schönsten Frauen der Welt,
geschah. Das Geld hatte sie von ihrem Freund geschenkt bekommen, Carmens
gesamtes Vermögen ist, als sie am 11. Dezember 2008 den Fernseher
einschaltet, auf einen Schlag dahin. Und sie ist nicht allein. Mit der
Ausnahme allerdings, einem für sie denn doch glücklichen Umstand:
Viele andere Opfer mussten mit 10 Millionen einsteigen, Madoff hatte
etwa im Palm Beach Golfclub eine Art, seine Investoren auf ihr Vermögen
einzuschätzen. »Es war tough«, sagt einer von ihnen, der nicht
genannt werden will, »aber wir wollten da rein.« Auch er verlor alles.
»That ganef, that thief, that nasty son of a bitch.«, flucht eine der
Witwen von Palm Beach, sie hat den Mund eines Truckdrivers, aber sie hat
wenigstens noch ein Dach über dem Kopf. Viele andere Witwen haben
selbst das verloren, alte Frauen, denen ihre sterbenden Gatten auf dem
Totenbett noch das Versprechen abnahmen, mit ihrem Geld immer bei
»Bernie« zu bleiben. »Wir reden von einer Ära, in der die Männer
sagten, ‘Don’t worry, my little darling, I’ll always take care of
you.’«, sagt Muriel Siebert, die erste Frau an der New York Stock
Exchange. Alle hat Madoff betrogen. 3. Man schütte hohe Dividenden aus.
Irwin Salbe hatte einen Account über vier Generationen mit Madoff. Die
Gewinne kommen ja. Bis auf einmal der ganze Schwindel implodiert.
Andernorts haben drei Generationen von Frauen in einem Haus drei
Generationen von Schmuck auf den Tisch gelegt. Sie müssen ihn
verkaufen. 4. Man schmiere Politiker. Madoff hatte sehr vielen
Senatoren Parteispenden zukommen lassen. Überdies, und das wird die
Ermittler später noch sagen lassen, wie clever der kleine Bernie schon
in den 60ern war, arbeitet er damals bereits mit den
Börsenregulationsbehörden zusammen: »Und natürlich vertrauten die
ihm irgendwann«, wie jemand aus informierten Kreisen feststellt, »man
kann davon ausgehen, dass er dank dieses Vertrauensverhältnisses von
früher einer genaueren Untersuchung nie unterzogen wurde.« 5. Man
lasse sich nicht in die Karten gucken. Einige Broker konfrontieren
Madoff mit seinen seltsamen »Puts und Calls«, und er herrscht sie an,
er wisse, was er tue. Sie investieren dennoch bei ihm. 6. Man vertraue
auf die Dummheit einer Herde Vieh: Als der erste kritische Artikel über
Madoff erscheint und vor dem Financier warnt, erntet die Autorin nur
Spott. Sie sei neidisch auf ihn und Antisemitin. »Ich antisemitisch?
Ich bin nicht nur Jüdin, ich lebe in Israel!« sagt die Journalistin.
Sie weist Madoff im persönlichen Gespräch Unregelmäßigkeiten in
seinem Finanzgebahren nach und er wechselt sofort das Thema. Er betont,
wie viel Glück sie damit hätte, dass er ihr Geld verwalten würde. 7.
Man suche sich einen Frontmann, gerne in Form eines Ziehvaters: Für
Madoff ist das Carl J. Shapiro, ein Mann, der mit Textilien reich
geworden ist und nun zu den Superreichen gehört, weil Madoff schon seit
1969 für ihn arbeitet. Jedenfalls wispert man sich das im Country Club
zu. Shapiro wird das Opfer mit den größten persönlichen Verlusten
sein, er verliert eine halbe Milliarde Dollar. »Es war wie bei Fiddler
on the Roof«, sagt etwa Richard Rampell, ein accountant. »Die Reichen
glauben, sie wissen alles und nichts kann ihnen etwas anhaben.« Robert
Jaffe, Shapiro´s Schwiegersohn, wird zu so etwas wie einem Zugpferd
für Madoff, das perfekte Aushängeschild, ein Gentleman-Millionär samt
Roadster und zurückgegeeltem Haar, eine makellose Projektionsfläche,
der personifizierte Erfolgstyp, natürlich dank Bernie Madoff. Er wird
Madoff die Kunden zuschanzen, während der sich weiterhin reserviert
zeigen kann, schließlich ist nicht jeder seiner feinen Methoden
würdig. So was wirkt, das Schneeballsystem gewinnt an Dynamik. 8. Man
täusche sich selbst, damit wird man noch glaubwürdiger: Zwei Tage vor
der Festnahme prostet er noch Untergebenen zu, man werde ein wunderbares
Jahr haben, da ist ihm schon der letzte große Fonds in Höhe von 500
Millionen, von fünf besonders exklusiven »Freunden« finanziert,
zusammengebrochen. »Er muss einen psychopathischen Charakter haben«
sagt Julia Fenwick, die dem Umtrunk beiwohnt. In seinem Buch
»Self-Deception« schreibt der Neuropsychologe Herbert Fingarette
(Humanities Press, New York 1969): »For example, it is quite natural
for the selfdeceiver as one who doesn´t perceive his own fakery« (Dem
Selbstbetrüger ist es ganz natürlich, seine eigene Fälschung nicht zu
erkennen) – was die These nahelegt, dass der Hochstapler irgendwann
ein Niveau erreicht, bei dem er den Überblick über echt oder falsch
verliert. Doch zu Fingarette und seinen Studien später mehr. Weiter in
unserer Analyse. Gregg O. McCrary, ein ehemaliger F.B.I. Agent, der
Täterprofile zusammenstellt, sagt: »Einige der Charakteristika, die
Psychopathen haben, sind Lügen, Manipulation, die Fähigkeit zu
Täuschen, Gefühle von Grandiosität und Kaltblütigkeit ihren Opfern
gegenüber.« Der Profiler, der, wie er einschränkend bemerkt, Madoff
allerdings nie getroffen hat, konstatiert, dass jener offenbar viele der
für Psychopathen typischen destruktiven Eigenschaften hat, die für die
meisten seiner Opfer heute unerklärlich sind: »Menschen wie er
gleichen Chamäleons. Sie sind sehr gut im Management ihrer
Außenwirkung. Sie managen den Eindruck, den man von ihnen hat. Sie
wissen, was die Leute wollen, und genau das geben sie ihnen.« – eine
Einschätzung, die offenbar für alle Hochstapler gilt. Aber ist es denn
alleine seine Schuld, dass ihm so viele Klienten scheinbar blind
vertraut haben? Hat sie nicht auch die Gier überwältigt, obwohl sie
wussten, dass Traumrenditen von 20 Prozent eigentlich einfach zu gut
waren, um wahr zu sein? Bernie wird es uns nicht erzählen. Er sitzt in
seinem 7,4 Millionen Duplex-Penthouse, East 64th Street Ecke Lexington,
und wartet einfach ab. Und denkt vielleicht an seine Brüder im Geiste.
Wie etwa den Schönen: Den Held aus Thomas Manns letztem Schelmenroman,
ohne den ein Traktat über diese Berufsgruppe einfach unvollständig
wäre: Schon im Kinderwagen stellt sich der kleine Felix vor, er sei der
erlauchte Hohenzollern-Kaiser und vergießt, von seinem Wahlonkel
Schimmelpreester ermutigt, schon dicke Tränen. Zu großer körperlicher
Schönheit herangewachsen – sie ist die vielleicht leichteste
Verführung zum Hochstapeln, man denke nur an die Kate Mosses und Naomi
Campbells, an Claudia Cardinale, aber auch Alain Delon und Warren Beatty
(der dem Vernehmen nach in Hollywood einen schwierigen Stand als
Schauspieler hatte, weil er einfach zu gut aussah, ja, auch das gibt es)
– in voller jugendlicher Blüte jedenfalls, verführt Felix erst sein
Kindermädchen, dann eine Industriellengattin, die während des Aktes
von seinen »Hermesbeinen« schwärmt: »O Engel du der Liebe, Ausgeburt
der Lust! Ah, ah du junger Teufel, glatter Knabe, wie du das kannst…«
Undsoweiterundsoweiter… Er darf sie um ihren Schmuck erleichtern, gibt
sich später mit Billigung seines Gönners als Marquis aus, alles
scheint ihm zu gelingen, zuzufliegen gewissermaßen, auch dies wohl ein
Charakteristikum des Hochstapelns: Es scheint ja alles so einfach, die
Welt will betrogen sein, Lüge häuft sich auf Lüge, rasch nur, rasch,
Erfolg nun haben und sein Glück machen, solange die Mitmenschen sich
blenden lassen… dass der Schönling seine Memoiren im Gefängnis
schreibt, wird nur sehr aufmerksamen Lesern klar, denn auch der Leser
will lieber getäuscht sich sehen und an ein Wunder glauben, so einfach
arbeitet das Hirn. Ein Zeitgenosse der Romanfigur war der sehr reale
Starits Rasputin, für manche ein Heiliger, für manche die Ausgeburt
der Bosheit schlechthin, der für einen Grossteil der Anfänge der
Oktoberrevolution verantwortlich sein dürfte, die seine Gönner, unter
anderem die etwas einfältig-religiöse Zarin hinweggefegt hat. Zu
seiner besten Zeit nutzte er die Leuchtkraft seiner Augen, und
Photographien aus jener Zeit zeigen einen wirklich bemerkenswerten
Blick, um die Menschen zu beeinflussen – auch dies eine Konstante im
Wirken der Betrüger, fast immer ist da ein gewisser körperlicher
Aspekt, der hervorsticht, bei Bernie Madoff scheint es allerdings eher
seine absolute Unauffälligkeit gewesen zu sein. Rasputin jedenfalls hat
wohl auch sehr empathische Wirkung und kann, nun hypnotisch fast, seine
Opfer Dinge glauben machen, die sie wohl bei klarem Verstand (da ist er
wieder, der Stolperstein Common Sense, der sich bei Hochstaplern fast
immer automatisch auszuschalten scheint) nie auch nur erwogen hätten.
Oder wie Fürst Jusupow selbst berichtet: »Mehr als einmal habe ich
Angst gehabt, besiegt zu werden. Die grausamen Augen Rasputins waren
Blutegel, geduckt in der Höhlung grundloser Löcher. Ein Fluidum rann
daraus, so dicht und so roh, dass es mir mit den Händen greifbar
schien. Die besessene Kraft drang durch alle Poren in mich ein und ließ
alle Energie schwinden. Ich fühlte, dass ich am Rande eines Abgrunds
walte. Schon fühlte ich unkörperliche Nadeln mir die Haut
durchstechen.« Dass es sich hierbei um die Aufzeichnungen eines etwas
hypersensiblen jungen Prinzen handelt, der schon seit Kindesbeinen einer
der reichsten Männer des ganzen russischen Reiches ist, sei nur
nebenbei bemerkt. Irgendwann jedenfalls besetzt Rasputin hohe
Regierungsämter mit Analphabeten, stellt Empfehlungsbriefe für
Schauspielerinnen, ihm sind Frauen oft zu willen, am Theater aus und
wird schließlich vom Prinzen Jusupow und zwei Komplizen zu den Klängen
des Yankee Doodles ermordet. Der Aristokrat ruft noch »Lang lebe
Russland, lang lebe der Zar!« ins Dunkel der Petersburger Nacht –
Rasputin ist inzwischen erschossen, erschlagen und mit mehr Arsen
vergiftet, als es für eine Kompanie gebraucht hätte, immer wieder ist
da noch Leben in dem Starits, zum Entsetzen seiner Killer – doch da
ist es für den russischen Adel schon zu spät. Es bleibt festzuhalten,
in ihrer unbedingten Bereitschaft, sich soviel Sand in die Augen
träufeln zu lassen bis sie erblinden, unterscheiden sich Investoren
allgemein, verprellte Geliebte und russische Großfürstinnen im
besonderen nur marginal. Dass auch Kleider Leute machen, ist vielleicht
am schönsten im »Hauptmann von Köpenick« zu sehen, der in einer
Reihe von Hochstaplern natürlich nicht fehlen darf – bei ihm ist es
ein alter Armeemantel mit Messingknöpfen, der auf den
verzückt-bourgoisen Obrigkeitsgehorsam des späten Kaiserreiches
trifft, was uns zu einem wichtigen Punkt bringt, der im Falle Madoffs
schon angedeutet wurde: Der Hochstapler muss ein Medium vorfinden, dass
ihm seine Trickserei ermöglicht, eben das Gegenüber, das glauben WILL,
oft wider besseres Wissen. Oben genannte Madame Diane Philibert, WILL
mit Hermes ins Bett. Die Zarin WILL an die Wundertätigkeit des Starits
glauben, weil er ihre einzige Hoffnung gegen die Hämophilie des
Kronprinzen ist. Madoffs Investoren WOLLEN glauben, dass der leichte
Reichtum nur einen Schmetterlingsflügelschlag weit entfernt ist. Und
Thomas Ripleys Opfer, jenes Gentlemans unter den Mördern, eine der
vielleicht charmantesten Erfindungen Patricia Highsmiths? Sie WOLLEN
ermordet werden… Nun ja, das führt vielleicht ewas zu weit.
Wie fängt eigentlich Thomas Ripleys Ära als Gentlemanverbrecher an? Er
leiht sich eine Collegejacke für ein Konzert, und das Wappen von
Princeton lässt ein reiches Ehepaar, die Reeder Greenleaf, in dem
Glauben, er sei ein Kommilitone ihres Sohnes Dickie. Ripley wird
gewissermaßen zufällig zum Hochstapler, und erst, nachdem er merkt,
wie einfach ihm das Betrügen fällt, beginnt seine eigentliche
Laufbahn, und er ist nicht mehr zu bremsen. Das erste seiner Opfer
jedenfalls, und das ist signifikant, ist eigentlich ein Objekt seiner
Begierde, oder, wenn wir etwas gnädiger in unserer Einschätzung sind,
seiner Liebe: Der Millionenerbe einer Reederei eben, Dickie Greenleaf,
der alles hat, was Ripley eben nicht hat. Attraktivität, Geld, eine
schöne Freundin, ein hübsches Feriendomizil und eine Yacht. Ripley
reagiert darauf wie eine Motte auf Licht – er will da hin und noch
viel mehr. Dass die Geschichte, auch die einer homosexuellen Beziehung
ist, die leider unerwidert bleibt, wird dabei selten beachtet. Sie soll
uns allerdings ein wenig weiter beschäftigen, weil darin eine für den
Hochstapler typische Eigenschaft sich ausbildet: Die der Isoliertheit
von der Welt. Die Geschichte spielt schließlich in den Fünfziger
Jahren, in denen die gleichgeschlechtliche Liebe noch unter der
kritischen Sanktion der Gesellschaft steht, wenn man es einmal
zurückhaltend ausdrücken möchte. Ripley ist also, und dies mag zu dem
eingangs erwähnten psychopathischen Zug des Hochstaplers gehören,
isoliert von der Welt. Er sieht sich als Einzelkämpfer, und will sich
recht eigentlich am Universum rächen: Es ist interessant,
festzustellen, dass der Typus des »Impostors« (engl. Hochstapler, lat.
Betrüger), eigentlich nur Rechte einfordert, die andere, die ihn
Umgeben, gleichsam als Geschenk des Himmels – und darin liegt die
Ungerechtigkeit des Ganzen – schon haben: Reichtum, gesellschaftliche
Stellung, Erfolg, Liebe, Schönheit – der Hochstapler sieht sich als
Opfer, und er kann nichts daran finden, andere eben dazu zu machen, es
ist gleichsam nur eine Wiederherstellung der göttlichen Balance, der
Gerechtigkeit an sich, ein allumfassendes »ich will auch, was ihr
habt«. (Thomas Ripley geht eben soweit, dass er die Rolle seines Opfers
Dickie SELBST übernimmt, er trägt seine Ringe, und muss diese, weil
sie Verdacht erregen würden, mit Dickies Verlobter in der Oper
überraschend konfrontiert, hinter seinem Rücken überstürzt
abziehen). Man erlöst sich gewissermaßen selbst, und hier kommt der
Betrüger dem Gott am nächsten – nicht umsonst ist Hermes, der
Götterbote, auch der Gott der Diebe (und der Wissenschaft). Dies
Prinzip gilt.
Kommen wir nun zu den womöglich mächtigsten aller Hochstapler, den
Politikern. Ein Hochstapler par excellence, vielleicht einer der ersten
dokumentierten Fälle der Geschichte überhaupt, dürfte der Pharao
Echnaton gewesen sein. Einer plötzlichen Eingebung folgend, in der ihm
ohne weitere Umstände der einzige und alleinige Gott Aton erscheint,
die Sonne selbst, veranlasst ihn nicht nur die allmächtige
Priesterkaste des Reichsgottes Amun in die politische
Bedeutungslosigkeit zu verdammen – er verlegt sogar die Reichshauptstadt
von Luxor nach Amarna, eine Stadt, die er aus dem Boden stampfen lässt.
Dass ihm wahrscheinlich der Monotheismus zu verdanken ist, gilt
inzwischen als wissenschaftliche Tatsache. Ein etwas späterer
Hochstapler auf dem ägyptischen Thron ist Ramses II. Seinen Krieg gegen
die Hethiter, gipfelnd in seinem Feldzug gegen Quadesh – eine vollendete
militärische Niederlage eigentlich, durch klassischen Hochmut,
katastrophale Führung seiner Infanterie und Unfähigkeit in seinem
taktischen Führungsstil à la »Ich bin der Pharao, jetzt kommst du«.
In Wahrheit verliert er die Schlacht und deutet sie in
propagandistischer Höchstleistung zu einem Sieg ohne Parallele um. Von
der Nilmündung bis nach Assuan lässt er sich als Herrscher in den
geduldigen Sandstein hauen, der in der einen Hand zahllose Feinde hält,
in der anderen eine tödliche Keule schwingt. Seinem Geltungsdrang
werden die königlichen Steinmetze nicht nur durch beispiellose
Kolossalstatuen gerecht, sondern auch durch einen plötzlichen
Stilwechsel in den steinern-schriftlichen Hieroglyphen: In seiner
Amtszeit geht der Stelenschreiber vom Hochrelief ins Basrelief über –
so kann man die Namenskartuschen der Vorgänger mal eben in »Ramses
II« ummeißeln. Einen alle sieben Jahre stattfindenden Ritus, bei dem
der Pharao vor der versammelten Priesterschaft seine
Regierungsfähigkeit durch einen Tanz zu demonstrieren hat, meistert er
noch achtzigjährig bravourös: »Er warf die Beine über den Kopf, wie
ein Gott«, durch einen Spazierstock gestützt, vermerken die Chronisten
der damaligen Zeit atemlos auf ihren Papyrii. Alkibiades, ein Geliebter
des Sokrates, nutzt seine ebenfalls gottgleiche Schönheit und seinen
persönlichen Charme auch vermittels eines lang im Sand schleifenden
Purpurmantels und »goldener Sandalen« – ein früher Publicity-Gag –
derart geschickt, dass man ihn irgendwann zum Oberbefehlshaber der
griechischen Flotte kürt, was natürlich in einer nautischen
Katastrophe endet. Alexander der Grosse wird seinen Status als Herrscher
der Welt ein wenig später dadurch manifestieren, dass er sich in der
ägyptischen Oase Shiwa von den dortigen Priestern des Amuns (der musste
für so einiges herhalten) als dessen Sohn zu dessen Stellvertreter auf
Erden erklären lässt. Ein Vorgang, den er erst billigend zur Kenntnis
nimmt, um ihn, wie seine Biographin Mary Renault später schreiben wird,
»irgendwann selbst zu glauben« – der Hochstapler überzeugt sich kraft
seiner eigenen Hybris. Sich auf Gott selbst berufen, wir kennen es auch
schon von Rasputin, und wir bemerken mit Erschrecken, dass das nach
landläufiger, jedoch zur Debatte stehender, Meinung schöne Geschlecht
unter den Hochstaplern aus untersuchenswerten Gründen bislang kaum
repräsentiert ist. Nun, das lässt sich schnell ändern: Johanna von
Orléans oder auch Jeanne d´Arc folgt in ihrem Kreuzzug gegen die
bösen Engländer angeblich auch einer direkten Gotteserscheinung, an
die bis auf den heutigen Tag je nach Zugehörigkeit zur katholischen
Kirche oder skeptischer Philosophie noch heute geglaubt wird, oder auch
nicht. Im Film Yentl, mit der göttlichen Barbra Streisand verfilmt,
will eine junge Polin jüdischen Glaubens einfach nur ihren Anspruch auf
Bildung erfüllt sehen, was ihr als Frau in einer jüdisch-orthodoxen
Gesellschaft nur möglich ist, indem sie sich als Mann ausgibt. Für die
damalige Zeit, man schreibt etwa die Mitte des 19. Jahrhunderts,
unerhört, aus der heutigen Perspektive und natürlich der der
westlichen Zivilisation, eine lässliche Sünde, auch wenn der Wunsch,
das Geschlecht zu wechseln, schon seit Theiresias belegt ist: Der
Philosoph darf, von den Göttern erwählt, sieben Jahre lang als Frau
verbringen, um zu wissen, was diese fühlen. Der Seher erkauft sich die
himmlische Gunst allerdings im Gegenzug für immerwährende Blindheit.
Auch der Fall der einzigen Päbstin, muss in dieser Reihe genannt
werden. Noch heute ist der Geschlechterwechsel allerdings, selbst wenn
die Genetik dafür spricht, wie diverse Beispiele aus der neueren
deutschen Sportlergeschichte belegen, noch mit einem Haut Gout behaftet.
»The sex-changing impostor« ist also womöglich ein Sonderfall. Bis in
die Siebziger Jahre behauptet eine gewisse Anna Andersen, die einzige
überlebende Tochter des Zaren, Großfürstin Anastasia zu sein – ein
Anspruch, der inzwischen durch eine überzeugende DNA-Analyse der
sterblichen Überreste der Zarenfamilie als widerlegt gelten darf, wie
der englische Autor Robert Massie in seinem Buch »Die Romanows«
erschöpfend beschreibt. (Es ist ein interessanter Umstand, dass sich
die Hochstapler verschiedenster Couleur um den letzten Herrscher aller
Reussen gleichsam sammeln…)

Ach ja, und wieso kommen wir erst jetzt drauf: Schönheitsoperationen
etwa, jene Glücksverheissung der Ärzte, ewige Jugend versprechend,
nicht länger nur den Frauen Amerikas anzudichten, längst
übergeschwappt auf unseren Kontinent, ein letztes Aufbäumen Psyches,
um Amors Lust noch einmal zu erheischen, aufzustocken auf jenes
unverständlich unveräusserliche Kapital in unserer so sexbesessenen
und oberflächlichen Kultur, fast religiös verehrt (Abildungsfluten von
Models stellen die Anzahl von Madonnenbildern weltweit wohl schon
längst in den Schatten)! Eine Freundin berichtete unlängst von einem
ersten Date, zu dem der angetretene Herr schon in der Einleitung des
Rendez-vous verlauten liess, er wolle eigentlich eine „blonde,
schlankere Frau…“ Und dann, die grösste Lüge von allen,
einträglich sosehr, dass die reichste Frau Frankreichs, die Eignerin
des L`Oreal-Konzerns, Liliane Bettencourt, ihr schier unermessliches
Vermögen jener Sucht nach Schönheit verdankt: Die Kosmetikindustrie.
All die Wässerchen; Tinkturen, Haarkuren, Lippenstifte, Eyeliner,
Puderdosen, Liftingprodukte, Anti-Age-Cremes – „ein Riesenbetrug“, wie
mich einst die Modechefin der grössten deutschen Illustrierten wissen
liess, „jede wissenschaftliche Studie dazu verschwand bei uns im
Giftschrank, um die Anzeigenkunden zu halten.“ Da ist sie aber, die
Sehnsucht der holden Weiblichkeit, erschafft dank gigantischer Umsätze
Wolkenkratzer (der Revlonturm an der Fifth Avenue), finanziert mal so
eben 85 Millionen Dollar für einen Beckmann (die Lauder Sammlung),
wiegt Millionen von zarten Seelen im Wahn unendlich dauernder
Sirenenkräfte – ist dies nicht eine grossangelegte, weltumspannende
Verführung zur Hochstapelei schlechthin? Einer eigentlich privaten,
dennoch auf Öffentlichkeit hin ausgerichteten Glücksverheissung ewig
Zukurzgekommener? Die Modeindustrie (und man möge dieses Apercu einem
Spezialisten auf diesem Gebiet verzeihen) – all die Chanels, Versaces,
Guccis, Yves Saint Laurents, die Vehikel der Eitelkeit, der
Geltungssucht, die Fashion Shows Hochmessen schäumender Begierden nach
Manifestation von Status, von Begehrtsein, von ästhetischer Allmacht –
sie ist der ewige Tanz um das goldene Kalb, ein, so schreibt es Elena
Esposito in ihrer Abhandlung „Die Psyche der Mode“, immerwährendes
„Balzen um Anerkennung, sozial akzeptiert.“ Verzweifelter Auswuchs
einer vermeintlichen Individualisierung durch Konsumgüter? Unvergessen
die Horden von Japanerinnen, die den Louis Vuitton Shop in der Faubourg
umlagerten, als gäbe es kein Morgen, signifikant (im Sinne des Wortes)
die in den Achtzigern um sich greifende Labelisierung trivialster
Produkte, der Designwahn bis hin zur Zuckerdose, die Anbetung eben jener
einzig verbliebenen Insignien des Status. Es ist eine Demokratisierung
des Hochstapelns, wie sie ein Künstler dieser Disziplin à la Krull
wohl nie verziehen hätte.

Ihr Fundament? „The pursuit of happiness“ jener unablässig
hochgejazzte Artikel der amerikanischen Verfassung, ein verbrieftes
Recht also, gipfelt demnach in einem sozial sanktionierten „Ich will
mehr, als ich habe und bin“ – die treibende Kraft des gerade in die
Knie gezwungenen Turbokapitalismus, ein „Mehr scheinen als sein“
geradezu vorwegnehmend. Nicht selten ist Hochstapelei, hier in einer
ihrer präsenzbestimmenden, realitätsheischenden, lebensnichtenden
Facette der Moderne, schlicht ein Aufschrei der Geschundenen, vom
ungerechten Dasein Entrechteten (der Vergleich zum Ablasshandel der
Zeiten Luthers drängt sich auf), und womöglich sogar – will man sich
freudianisch versteigen? – ein Ausdruck der Sehnsucht nach Liebe.

Liebe mich! schreit der Hochstapler, für etwas, das ich nicht bin, ohne,
und das ist das Tragische daran, zu sehen, was er IST. „Es gibt kein
wahres Leben im Falschen“ sagt Adorno und sein Mahnruf verhallt
ungehört ohnehin in der Desorientierung des Homo Consumens – der
Hochstapler an sich ist dafür regelrecht taub.

Kommen wir nun zur alles entscheidenden und schon oben aufflimmernden
Frage: Ist die moderne Gesellschaft, von Geldgier und Geltungssucht
getrieben, ein in der Geschichte vielleicht einmaliger Nährboden für
Hochstapler? Was ist mit den Champagnerflaschen zu 5000 Pfund, die sich
Investmentbanker bis vor Kurzem noch in London nach gelungenen
Abschlüssen spendierten? Wer will da wem was vorspielen? Überhaupt die
Solvenz: Die Anzahl überteuerter Sportwagen auf windigen und letztlich
unbezahlbaren Leasingraten geborgt, cui bono? Dem leidigen Nachbarn? Der
zur Schau gestellte Ferrarischlüssel auf dem Tisch des Italieners, ein
Lockmittel mithin für etwaige weibliche Sexualpartner, das technisierte
Pfauenrad eines unattraktiven Russen ohne Tischmanieren, zuletzt gesehen
im „Espresso“ am Grindel in Hamburg, sicherlich auch anderswo
aufzufinden in der Republik, in Europa, ja weltweit? Hat man denn nicht
mit der hypothekenbelasteten Villa schon genügend Welle verbreitet? Was
wurde aus den Triple A-Ratings der Lehmann Brothers, und – hier
schliesst sich der Kreis zum kleinen Bernie Madoff, dem schwachen
Männlein aus Queens, einem vielleicht schuldig Unschuldigen: Ist jener
nicht einfach nur die äusserste, letzte, kanülenhaft feinste
personifizierte Ausprägung eines Allgemeintrends unserer Zeit?

Geheimer, finaler Verdacht: Ist das Hochstapeln letzlich wohl – gehen wir
zu weit? – ein Negieren der Sterblichkeit?

HARALD NICOLAS STAZOL