IMPOSTORS REVISITED – oder warum Hochstapler hochstapeln. Eine Annäherung
„Übrigens erscheint die Prahlerei als eine Vorspiegelung nicht vorhandener Vorzüge, der Prahler aber als einer, der, auf dem Hafendamm stehend, den Fremden erzählt, dass er viel Geld auf dem Meer habe. Und er schildert genau die Bedeutung des Seezinses und wieviel er gewann und verlor. Und während er so den Mund vollnimmt, schickt er einen Sklaven zur Bank, wo er eine Drachme als Guthaben hat“ (Theophrast, Charaktere, um 300 v.Chr.)
„The charges carry maximum prison terms totaling 150 years, and dozens of Mr. Madoff’s victims have urged Judge Denny Chin of the Federal District Court in Manhattan to give him the maximum sentence.
Mr. Madoff is scheduled to be sentenced on June 29.“ (New York Times, 19th of June 2008)
„Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt.
Und rings umher liegt schöne grüne Weide. (Mephisto)
Es gibt 65 000 000 000 und einen Grund, den kleinen Bernie Madoff zu hassen: Die Summe von 65 000 000 000 Dollar in Worten, man fasst es kaum, fünfundsechzig Milliarden Dollar. Im Amerikanischen spricht man sogar von 65 Billionen, 1 Billion ist im Angelsächsischen unsere Milliarde – diese schier unfassbare Summe, jenseits jeglicher Vorstellungskraft, hat er seine Opfer gekostet – doch der eine übrige Grund ihn zu hassen, ist sein Lächeln, als er am 11. Dezember 2008 in New York City vor Gericht erscheinen muss: Endlich hat der Staat, haben die obersten Finanzbehörden sich durchgerungen, ihn, dein kleinen Bernie aus dem Verkehr zu ziehen, den Jungen aus Queens, der es so weit gebracht hat, und nun als vielleicht grösster alleiniger Profiteur der gesamten Finanzkrise in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird. Und noch immer ist ihm das Glück hold – er darf mit einer Fussangel, elektronisch überwacht, in sein 7,4-Millionen-Dollar Penthouse, seinen Hausarrest absitzen, bis auf weiteres. Madoff gehört zu den ganz Grossen in einer Kette von Grossen, Grösseren und auch mal Kleinen, den Luden, Spielern und Heiratsschwindlern – auch der teuflische Mephisto war wohl so einer (Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand!
Willst du entstehn, entsteh auf eigne Hand!) – doch eins sind sie allesamt: Hochstapler.
Es gibt sie überall: Der in Deutschland zur Zeit brisanteste Fall ist der eines Weinhändlers, der gutunterrichteten Kreisen zufolge über sieben Jahre lang antiquarische Etikette drucken liess (den Namen zu nennen ist wohl unnötig, ausserdem ist der Mann sehr klagefreudig…), um aus billigem Fusel jahrhundertalte Qualitätsweine zu fingieren, was Hélène der Rothschild bis auf den heutigen Tag entsetzt – man schätzt, dass der Gute sich so etwa 90 Millionen Euro erschwindelte.
Doch vielleicht gelingt es uns, am Fall Bernie Madoff, auch aus Gründen der Aktualität, einige der typischen Charakteristika herauszuarbeiten, zu isolieren also, um eine Analyse des typus generalis des Hochstaplers vornehmen zu können. Dies ist keine einfache Aufgabe, und vielleicht gelingt es auch nicht immer sofort, die roten Fäden zu einer Typologie zusammenzuweben, aber das Erkennen eines Hochstaplers ist ja schliesslich auch für Aussenstehende ein durchaus schwieriges Unterfangen. Beginnen wir unsere Suche also beim
Finanzier:
Wie bloss hat Madoff sich in seine so gewinnbringende Position gebracht? Nun, etwa so:
1. Man sucht sich als Amerikaner jüdischen Glaubens – und schon hier sei vor Antisemitismus gewarnt, im Madoff-Fall sind die Rollen klar geteilt, oder eben vereint, doch weiter – man sucht sich Vertraute in seiner Glaubensgemeinschaft, Geldgeber, die nach dem Motto „Oh, Bernie ist so bescheiden, so still, so nett und ausserdem gehört er zu unserer Mischpoke“ handeln. Eines seiner Opfer wird später sagen, ob all des vernichteten Privatvermögens in jüdischer Hand: „Was Hitler nicht geschafft hat, hat Madoff geschafft!“
2. Man mache sich rar: Wer zu Bernie vorgelassen wird, wenn überhaupt bei seiner exclusiven Clientel, der hat es geschafft, der gehört zum erlauchten Kreise. Dort, wo der Magier 16 bis 18 Prozent Rendite verspricht. Selten unter 100 000 Dollar Einlage, so wie es Carmen del`Orifcie, immer noch eine der schönsten Frauen der Welt, geschah. Das Geld hatte sie von ihrem Freund geschenkt bekommt, in Bernies Allerheiligstem, dem „immaculate office“, ein weisses Refugium im 18 Stock des Lipstick Building in Manhattan, natürlich an bester Adresse. Carmens gesamtes Vermögen ist, als sie am 11. Dezember 2008 den Fernseher einschaltet, auf einen Schlag dahin. Und sie ist nicht allein. Mit der Ausnahme allerdings, einem für sie denn doch glücklichen Umstand: Viele andere Opfer mussten mit 10 Millionen einsteigen, Madoff hatte etwa im Palm Beach Golfclub eine Art, seine Investoren auf ihr Vermögen einzuschätzen. „Es war tough“, sagt einer von ihnen, der nicht genannt werden will, „aber wir wollten da rein.“ Auch er verlor alles.“That ganef, that thief, that nasty son of a bitch.”, flucht eine der Witwen von Palm Beach, sie hat den Mund eines Truckdrivers, aber sie hat wenigstens noch ein Dach über dem Kopf. Viele andere Witwen haben selbst das verloren, alte Frauen, denen ihre sterbenden Gatten auf dem Totenbett noch das Versprechen abnahmen, mit ihrem Geld immer bei „Bernie“ zu bleiben. „Wir reden von einer Ära, in der die Männer sagten, „Schatz, ich werde mich um dich kümmern. ‘Don’t worry, my little darling, I’ll always take care of you.’, sagt Muriel Siebert, die erste Frau an der New York Stock Exchange. All sie hat Madoff betrogen.
3. Man schütte hohe Dividenden aus. Irwin Salbe hatte einen Account über vier Generationen mit Madoff. Die Gewinne kommen ja. Bis auf einmal der ganze Schwindel implodiert. Andernorts haben drei Generationen von Frauen in einem Haus drei Generationen von Schmuck auf den Tisch gelegt. Sie müssen ihn verkaufen.
4. Man schmiere Politiker. Madoff hatte sehr vielen Senatoren Parteispenden zukommen lassen. Überdies, und das wird die Ermittler später noch sagen lassen, wie clever der kleine Bernie schon in den 60ern war, arbeitet er damals bereits mit den Börsenregulationsbehörden zusammen: „Und natürlich vertrauten die ihm irgendwann“, wie jemand aus informierten Kreisen feststellt, „man kann davon ausgehen, dass er dank dieses Vertrauensverhältnisses von früher einer genaueren Untersuchung nie unterzogen wurde.“
5. Man lasse sich nicht in die Karten gucken. Einige Broker konfrontieren Madoff mit seinen seltsamen „Puts und Calls“, und er herrscht sie an, er wisse, was er tue. Sie investieren dennoch bei ihm.
6. Man vertraue auf die Dummheit einer Herde Vieh: Als der erste kritische Artikel über Madoff erscheint und alle Welt vor dem Financier (darf man ihn überhaupt so nennen?) warnt, erntet die Autorin nur Spott. Man sei neidisch auf ihn. Manchmal kommen Antisemitismen – „Ich antisemitisch? Ich bin nicht nur Jüdin, ich lebe in Israel!“ sagt die Journalistin. Sie weist Madoff im persönlichen Gespräch Unregelmässigkeiten in seinem Finanzgebahren nach und er wechselt sofort das Thema. Er betont, wieviel Glück sie damit hätte, dass er ihr Geld verwalten würde.
7. Man suche sich einen Frontmann, gerne in Form eines Ziehvaters: Für Madoff ist das Carl J. Shapiro, ein Mann, der mit Textilien reich geworden ist und nun zu den Superreichen gehört, weil Madoff schon seit 1969 für ihn arbeitet. Jedenfalls wispert man sich das im Country Club zu. Und jeder will daran teilhaben. Shapiro wird das Opfer mit den grössten persönlichen Verlusten sein, er verliert eine halbe Milliarde Dollar. „Es war wie bei Fiddler on the Roof (Anatevka)“, sagt etwa Richard Rampell, ein accountant. „Die Reichen glauben, sie wissen alles und nichts kann ihnen etwas anhaben.“ Robert Jaffe, Shapiro´s Schwiegersohn, wird zu so etwas wie einem Zugpferd für Madoff, das perfekte Aushängeschild, ein Gentleman-Millionär samt Roadster und zurückgegeeltem Haar, eine makellose Projektionsfläche, der personifizierte Erfolgstyp, natürlich dank Bernie Madoff. Er wird Madoff die Kunden zuschanzen, während der sich weiterhin reserviert zeigen kann, schliesslich ist nicht jeder seiner feinen Methoden würdig. Sowas wirkt, das Schneeballsystem gewinnt an Dynamik.
8. Man täusche sich selbst, damit wird man noch glaubwürdiger: Zwei Tage vor der Festnahme prostet er noch Untergebenen zu, man werde ein wunderbares Jahr haben, da ist ihm schon der letzte grosse Fonds in Höhe von 500 Millionen, von fünf besonders exclusiven „Freunden“ finanziert, zusammengebrochen.“Er muss einen psychopathischen Charakter haben“ sagt Julia Fenwick, die dem Umtrunk beiwohnt. In seinem Buch „Self-Deception“ schreibt der Neuropsychologe Herbert Fingarette (Humanities Press, New York 1969): „For example, it is quite natural for the selfdeceiver as one who doesn´t perceive his own fakery“ (Dem Selbstbetrüger ist es ganz natürlich, seine eigene Fälschung nicht zu erkennen) – was die These nahelegt, dass der Hochstapler irgendwann ein Niveau erreicht, bei dem er den Überblick über echt oder falsch verliert. Doch zu Fingarette und seinen Studien später mehr. Weiter in unserer Analyse. Gregg O. McCrary, ein ehemaliger F.B.I. Agent, der Täterprofile zusammenstellt, sagt: „Einige der Charakteristika, die Psychopathen haben, sind Lügen, Manipulation, die Fähigkeit zu Täuschen, Gefühle von Grandiosität und Kaltblütigkeit ihren Opfern gegenüber.“ Der Profiler, der, wie er einschränkend bemerkt, Madoff allerdings nie getroffen hat, konstatiert, dass jener offenbar viele der für Psychopathen typischen destruktiven Eigenschaften hat, die für die meisten seiner Opfer heute unerklärlich sind: „Menschen wie er gleichen Chamäleons. Sie sind sehr gut im Management ihrer Aussenwirkung. Sie managen den Eindruck, den man von ihnen hat. Sie wissen, was die Leute wollen, und genau das geben sie ihnen.“ – eine Einschätzung, die offenbar für alle Hochstapler jedweder Couleur gilt.
65 000 000 001 Gründe gibt es, Bernie Madoff zu hassen. Aber ist es denn alleine seine Schuld, dass ihm soviele Klienten scheinbar blind vertraut haben? Hat sie nicht auch die Gier überwältigt, obwohl sie wussten, dass Traumrenditen von 20 Prozent eigentlich einfach zu gut waren, um wahr zu sein? Bernie wird es uns nicht erzählen. Er sitzt in seinem 7,4 Millionen Duplex-Penthouse, East 64th Street Ecke Lexington, und wartet einfach ab. Und denkt vielleicht an seine Brüder im Geiste.
Wie etwa den
Schönen:
Felix Krull zum Beispiel, der Held aus Thomas Manns letztem Schelmenroman, „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, ohne den ein Traktat über diese Berufsgruppe einfach unvollständig wäre: Schon im Kinderwagen stellt sich der kleine Felix vor, er sei der erlauchte Hohenzollern-Kaiser und vergiesst – von seinem Wahlonkel Schimmelpreester ermutigt – schon dicke Tränen. Zu grosser körperlicher Schönheit herangewachsen – sie ist die vielleicht leichteste Verführung zum Hochstapeln, da der Mensch sich der Schönheit und ihren ästhetischen Aspekten kaum zu entziehen weiss, man denke nur an die Kate Mosses und Naomi Campbells, an Claudia Cardinale, aber auch Alain Delon und Warren Beatty (der dem Vernehmen nach in Hollywood einen schwierigen Stand als Schauspieler hatte, weil er einfach zu gut aussah, ja, auch das gibt es) – zu voller jugendlichen Blüte herangewachsen jedenfalls, verführt Felix erst sein Kindermädchen, dann eine Industriellengattin, die während des Aktes von seinen „Hermesbeinen“ schwärmt: “O Süssester…) O Engel du der Liebe, Ausgeburt der Lust! Ah, ah du junger Teufel, glatter Knabe, wie du das kannst…“ Undsoweiterundsoweiter…. Und Krull ganz lapidar „Sie verging, wir vergingen.“
Er darf sie sogar um ihren Schmuck erleichtern, er gibt sich dann später mit Billigung seines Gönners als Marquis aus, alles scheint ihm zu gelingen, zuzufliegen gewissermassen, auch dies wohl ein Charakteristikum des Hochstapelns: Es scheint ja alles so einfach, die Welt will betrogen sein, Lüge häuft sich auf Lüge, rasch nur, rasch, Erfolg nun haben und sein Glück machen, solange die Mitmenschen sich blenden lassen… dass der Schönling, wohl ein Alters-Alter-Ego des Autors selbst, seine Memoiren auf „jungfräulichem Papier“ IM GEFÄNGNIS schreibt, wird nur dem sehr aufmerksamen Leser klar, denn sogar der Leser des Romans will lieber getäuscht sich sehen eigentlich und an ein Wunder glauben, so einfach arbeitet das Hirn.
Ein Zeitgenosse Krulls, hätte es letzteren denn gegeben, war der sehr reale Starits Rasputin, für manche ein
Heiliger,
für manche die Ausgeburt der Bosheit schlechthin, der für einen Grossteil der Anfänge der Oktoberrevolution verantwortlich sein dürfte, die seine Gönner, unter anderem die etwas einfältig-religiöse Zarin hinweggefegt hat. Zu seiner besten Zeit nutzte er die Leuchtkraft seiner Augen, und Photographien aus jener Zeit zeigen einen wirklich bemerkenswerten Blick, um die Menschen zu beeinflussen – auch dies eine Konstante im Wirken der Betrüger, fast immer ist da ein gewisser körperlicher Aspekt, der hervorsticht, bei Bernie Madoff scheint es dagegen eher seine absolute Unauffälligkeit gewesen zu sein. Rasputin jedenfalls hat wohl auch sehr empathische Wirkung und kann, nun hypnotisch fast, seine Opfer Dinge glauben machen, die sie wohl bei klarem Verstand (da ist er wieder, der Stolperstein Common Sense, der sich bei Hochstaplern fast immer automatisch auszuschalten scheint) nie auch nur erwogen hätten. Oder wie Fürst Jusupow selbst berichtet: „Mehr als einmal habe ich Angst gehabt, besiegt zu werden. Die grausamen Augen Rasputins waren Blutegel, geduckt in der Höhlung grundloser Löcher. Ein Fluidum rann daraus, so dicht und so roh, dass es mir mit den Händen greifbar schien. Die besessene Kraft drang durch alle Poren in mich ein und liess alle Energie schwinden. Ich fühlte, dass ich am Rande eines Abgrunds walte. Schon fühlte ich unkörperliche Nadeln mir die Haut durchstechen.“ Undsoweiterundsoweiter. Dass es sich hierbei um die Aufzeichnungen eines etwas hypersensiblen jungen Prinzen handelt, der schon seit Kindesbeinen einer der reichsten Männer des ganzen russischen Reiches ist, es sei nur nebenbei bemerkt. Irgendwann jedenfalls besetzt Rasputin hohe Regierungsämter mit Analphabeten, stellt Empfehlungsbriefe für Schauspielerinnen, ihm sind Frauen oft zu willen, am Theater aus und wird schliesslich vom Prinzen Jusupow und zwei Komplizen zu den Klängen des Yankee Doodles ermordet. Der Aristokrat ruft noch „Lang lebe Russland, lang lebe der Zar!“ ins Dunkel der Petersburger Nacht – Rasputin ist inwischen erschossen, erschlagen und mit mehr Arsen vergiftet, als es für eine Kompanie gebraucht hätte, immer wieder ist da noch Leben in dem Starits, zum Entsetzen seiner Killer – doch da ist es für den russischen Adel schon zu spät.
Es bleibt festzuhalten, in ihrer unbedingten Bereitschaft, sich soviel Sand in die Augen träufeln zu lassen, bis sie erblinden – nun, darin unterscheiden sich jüdische Finanziers, Investoren allgemein, verprellte Geliebte und russische Grossfürstinnen im besonderen nur marginal.
Dass auch Kleider Leute machen, ist vielleicht am schönsten im “Hauptmann von Köpenick” zu sehen, der in einer Reihe von Hochstaplern natürlich nicht fehlen darf – bei ihm ist es ein alter Armeemantel mit Messingknöpfen, der auf den verzückt-bourgoisen Obrigkeitsgehorsam des späten Kaiserreiches trifft, was uns zu einem wichtigen Punkt bringt, der im Falle Madoffs schon angedeutet wurde:
Der Hochstapler muss ein Medium vorfinden, dass ihm seine Trickserei ermöglicht, eben das Gegenüber, das glauben WILL, oft wider besseres Wissen. Madame Diane Philibert, vom jungen Krull so nachhaltig befriedigt, WILL mit Hermes ins Bett. Die Zarin WILL an die Wundertätigkeit des Starits glauben, weil er ihre einzige Hoffnung gegen die Hämophilie des Kronprinzen ist. Madoffs Investoren WOLLEN glauben, dass der leichte Reichtum nur einen Schmetterlingsflügelschlag weit entfernt ist.
Und Thomas Ripleys Opfer, jenes Gentlemans unter den
Mördern,
eine der vielleicht charmantesten Erfindungen Patricia Highsmiths? Sie WOLLEN ermordet werden….
Nun ja, das führt vielleicht ewas zu weit. Wie fängt eigentlich Thomas Ripleys Ära als Gentlemanverbrecher an? Wir erinnern uns: Er leiht sich eine Collegejacke für ein Konzert, und das Wappen von Princeton lässt ein reiches Ehepaar, die Reeder Greenleaf, in dem Glauben, er sei ein Kommilitone ihres Sohnes Dickie. Ripley wird gewissermassen unschuldig zum Hochstapler, und erst, nachdem er merkt, wie einfach ihm das Betrügen fällt, beginnt seine eigentliche Laufbahn, und er ist nicht mehr zu bremsen. Das erste seiner Opfer jedenfalls, und das ist signifikant, ist eigentlich ein Objekt seiner Begierde, oder, wenn wir etwas gnädiger in unserer Einschätzung sind, seiner Liebe: Der Millionenerbe einer Reederei eben, Dickie Greenleaf, der alles hat, was Ripley eben nicht hat. Attraktivität, Geld, eine schöne Freundin, ein hübsches Feriendomizil und eine Yacht. Ripley reagiert darauf wie eine Motte zum Licht – er will das alles haben, und noch viel mehr. Dass die Geschichte auch die einer homosexuellen Beziehung ist, die leider unerwidert bleibt, wird dabei selten beachtet. Sie soll uns allerdings ein wenig weiter beschäftigen, weil darin eine für den Hochstapler typische Eigenschaft sich ausbildet: Die der Isoliertheit von der Welt. Die Geschichte spielt schliesslich in den Fünfziger Jahren, in denen die gleichgeschlechtliche Liebe noch unter der kritischen Sanktion der Gesellschaft steht, wenn man es einmal zurückhaltend ausdrücken möchte. Ripley ist also, und dies mag zu dem eingangs erwähnten pyschopathischen Zug des Hochstaplers gehören, isoliert von der Welt. Er sieht sich als Einzelkämpfer, und will sich recht eigentlich am Universum rächen: Es ist interessant, festzustellen, dass der Typus des „Impostors“ (engl. Hochstapler, lat. Betrüger), an sich recht eigentlich nur Rechte einfordert, die andere, die ihn Umgebenden, gleichsam als Geschenk des Himmels – und darin liegt die Ungerechtigkeit des Ganzen – schon haben: Reichtum, gesellschaftliche Stellung, Erfolg, Liebe, Schönheit – der Hochstapler sieht sich als Opfer, und er kann nichts daran finden, andere eben dazu zu machen, es ist gleichsam nur eine Wiederherstellung der göttlichen Balance, der Gerechtigkeit an sich, ein allumfassendes „ich will auch, was ihr habt“. (Thomas Ripley geht eben soweit, dass er die Rolle seines Opfers Dickie SELBST übernimmt, er trägt seine Ringe, und muss diese, weil sie Verdacht erregen würden, mit Dickies Verlobter in der Oper überraschend konfrontiert, hinter seinem Rücken (!!!) überstürzt abziehen). Man erlöst sich gewissermassen selbst, und hier kommt der Betrüger dem Gott am nächsten – nicht umsonst ist Hermes, der Götterbote, auch der Gott der Diebe und eben der der Wissenschaft. Dies Prinzip, vielmehr die Annäherung an das Prinzip Hochstapler, immer ist in diesem Analysefeld alles immer nur Annäherung – gilt genauso für Felix Krull, der auch keine Ruhe findet, und nicht die geringsten Skrupel entwickelt seinen Opfern gegenüber, es gilt für den unverstandenen, in Armut vor sich hinvegetierenden „Heiligen“ Starits Gregory Rasputin – und eben für den kleinen Bernie Madoff aus Queens. Doch zurück zu John Ripley.
Zunächst besetzt er also die Begehrlichkeit mit Zuneigung, und als diese nicht erwiedert wird, auch nicht nach Monaten, explodiert er bei einer gemeinsamen Bootstour (Dicke wirft ihm, in der Filmfassung unter Regie von Anthony Minghella ausserordentlich gut in Szene gesetzt vom Briten Jude Law, John Ripley „Langeweile“ vor, das tödlichste Urteil für einen Hochstapler überhaupt) und bringt seinen Antagonisten um – Bernie Madoff will vor allem eines: reich sein. Seine Anbiederung an potentielle Investoren wie etwa Shapiro geht soweit, dass diese ihn als „surrogate son“, als Ersatzsohn bezeichnen – er „bringt“ die Milliardäre „um“, in dem er ihr Vermögen verschleudert. Rasputin will die Nähe zur Zarenfamilie – die bald darauf, auch von seinen Machenschaften beeinflusst, von den Roten erschossen wird. Und Felix Krull sieht, selbst im eisigen Schneetreiben stehend, ein junges Geschwisterpaar auf dem Balkon eines Luxushotels, des „Frankfurter Hof“: „Beide waren sie bildhübsch, – nicht zu sagen, wie hübsch, der Jüngling um nichts weniger als das Mädchen. Für den Abend gekleidet schon beide, trug jener Perlen in der Hemdbrust, diese eine Diamantagraffe in ihrem reichen und dunklen, wohlfrisierten Haar und eine andere an der Brust…“ Dort will er hin: „Fort waren sie, die entzückenden Phantasmagorie eines Augenblicks, entschwunden auf Nimmerwiedersehen. Aber noch lange stand ich und blickte, aufrecht an einem Laternenpfahl, zu ihrem Balkon empor, indem ich ihr Dasein im Geist zu durchdringen suchte; und nicht nur diese Nacht, sondern in so mancher folgenden noch, wenn ich ermüdet vom Wandern und Schauen auf meiner Küchenbank lag, handelten meine Träume von ihnen.“ Vom Mord sieht der „glückliche“ Felix, und das ist wohl der literarischen Wohlgesittetheit Thomas Manns zu danken, allerdings ab. Geht man jedoch davon aus, dass Krull ein alter ego Manns ist, lässt sich bemerken, das jener in seinen Tagebüchern jedes Mal bemerkt, wenn er Konfitüre konsumiert – der eigentlich verarmte Lübecker Patriziersohn geht im wiedergefundenen sozialen Status auf, und langweilt mit Beschreibungen seines elfenbeinernen Spazierstocks (dessen Sprung am Griff ihm am Tage der Hiroshimabombe mehr Zeilen wert ist, als die Atombombe selbst) – doch das nur nebenbei. Kommen wir nun also zu den womöglich mächtigsten aller Hochstapler, den
Politikern
Ein Hochstapler par excellence, vielleicht einer der ersten dokumentierten Fälle der Geschichte überhaupt, dürfte der Pharao Echnaton gewesen sein. Einer plötzlichen Eingebung folgend, in der ihm ohne weitere Umstände der einzige und alleinige Gott Aton erscheint, die Sonne selbst, veranlasst ihn nicht nur die allmächtige Priesterkaste des Reichsgottes Amun in die politische Bedeutungslosigkeit zu verdammen – er verlegt sogar die Reichshauptstadt von Luxor nach Amarna, eine Stadt, die er aus dem Boden stampfen lässt. Dass ihm wahrscheinlich der Monotheismus zu verdanken ist, den das Judentum und alle darauffolgenden Religionen übernimmt, gilt inzwischen als wissenschaftliche Tatsache.
Ein etwas späterer Hochstapler auf dem ägyptischen Thron ist Ramses II. Seinen Krieg gegen die Hethiter, gipfelnd in seinem Feldzug gegen Quadesh – eine vollendete militärische Niederlage eigentlich, durch klassischen Hochmut, katastrophale Führung seiner Infanterie und Unfähigkeit in seinem taktischen Führungsstil à la „Ich bin der Pharao, jetzt kommst du“. In Wahrheit verliert er die Schlacht und deutet sie in propagandistischer Höchstleistung zu einem Sieg ohne Parallele um. Von der Nilmündung bis nach Assuan lässt er sich als Herrscher in den geduldigen Sandstein hauen, der in der einen Hand zahllose Feinde hält, in der anderen eine tödliche Keule schwingt. Seinem Geltungsdrang werden die königlichen Steinmetze nicht nur durch beispiellose Kolossalstatuen gerecht, sondern auch durch einen plötzlichen Stilwechsel in den steinern-schriftlichen Hieroglyphen: In seiner Amtszeit geht der Stelenschreiber vom Hochrelief ins Bas-relief über – so kann man die Namenskartuschen seiner Vorgänger mal eben in „Ramses II“ ummeisseln. Einen alle sieben Jahre stattfindenden Ritus, bei dem der Pharao vor der versammelten Priesterschaft seine Regierungsfähigkeit durch einen Tanz zu demonstrieren hat, meistert er noch achtzigjährig bravourös: „Er warf die Beine über den Kopf, wie ein Gott“, durch einen Spazierstock gestützt, vermerken die Chronisten der damaligen Zeit atemlos auf ihren Papyrii.
Alkibiades, ein Geliebter des Sokrates, nutzt seine ebenfalls gottgleiche Schönheit und seinen persönlichen Charme im antiken Athen auch vermittels eines lang im Sand schleifenden Purpurmantels und „goldener Sandalen“ – ein früher Publicity-Gag – derart geschickt, dass man ihn irgendwann zum Oberbefehlshaber der griechischen Flotte kürt, was natürlich in einer nautischen Katastrophe endet.
Alexander der Grosse wird seinen Status als Herrscher der Welt ein wenig später dadurch manifestieren, dass er sich in der ägyptischen Oase Shiwa von den dortigen Priestern des Amuns (der musste für so einiges herhalten) als dessen Sohn zu dessen Stellvertreter auf Erden erklären lässt. Ein Vorgang, den er erst billigend zur Kenntnis nimmt, um ihn, wie seine Biographin Mary Renault später schreiben wird, „irgendwann selbst zu glauben“ – der Hochstapler überzeugt sich seiner eigenen Hybris.
Sich auf Gott selbst berufen, wir kennen es auch schon von Rasputin, und wir bemerken mit Erschrecken, dass das nach landläufiger, jedoch zur Debatte stehender, Meinung schöne Geschlecht unter den Hochstaplern aus untersuchenswerten Gründen bislang kaum repräsentiert ist. Nun, das wollen wir ändern:
Frauen
Johanna von Orléans oder auch Jeanne d´Arc folgt in ihrem Kreuzzug gegen die bösen Engländer angeblich auch einer direkten Gotteserscheinung, an die bis auf den heutigen Tag je nach Zugehörigkeit zur katholischen Kirche oder skeptischer Philosophie noch heute geglaubt wird, oder auch nicht.
Im Film Yentl, mit der göttlichen Barbra Streisand verfilmt, will eine junge Polin jüdischen Glaubens einfach nur ihren Anspruch auf Bildung erfüllt sehen, was ihr als Frau in einer jüdisch-orthodoxen Gesellschaft nur möglich ist, indem sie sich als Mann ausgibt. Für die damalige Zeit, man schreibt etwa die Mitte des 19. Jahrhunderts, unerhört, aus der heutigen Perspektive und natürlich dem der westlichen Zivilisation, eine lässliche Sünde, auch wenn der Wunsch, das Geschlecht zu wechseln, schon seit Theiresias belegt ist: Der Philosoph darf, von den Göttern erwählt, sieben Jahre lang als Frau verbringen, um zu wissen, was diese fühlen. Der Seher erkauft sich die himmlische Gunst allerdings im Gegenzug für immerwährende Blindheit. Auch der wohl ausreichend dokumentierte, und deswegen hier nur gestreifte Fall der einzigen Päbstin, muss in dieser Reihe genannt werden. Noch heute ist der Geschlechterwechsel allerdings, selbst wenn die Genetik dafür spricht, wie diverse Beispiele aus der neueren deutschen Sportlergeschichte belegen, noch mit einem Haut Gout behaftet. „The sex-changing impostor“ ist also womöglich ein Sonderfall.
Bis in die Siebziger Jahre behauptet eine gewisse Anna Andersen, die einzige überlebende Tochter des Zaren, Grossfürstin Anastasia zu sein – ein Anspruch, der inzwischen durch eine überzeugende DNA-Analyse der sterblichen Überreste der Zarenfamilie als widerlegt gelten darf, wie der englische Autor Robert Massie in seinem Buch „Die Romanows“ erschöpfend beschreibt. (Es ist ein interessanter Umstand, dass sich die Hochstapler verschiedenster Couleur um den letzten Herrscher aller Reussen gleichsam sammeln…)
Und ist es nicht, wenn man das sagen darf, quasi eine Pflicht der Damen, solange hochzustapeln, vermittels Schönheitswässerchen, Designerkleidung und Schmuck, als Heiratsgut für die prospektiven Ehemänner zu gelten, solange, bis sie den wohlversorgten und möglichst ewigen Bund eingehen? Ist es häretisch, soetwas zu vermuten?
Was bleibt also abschliessend zu sagen? Das Phänomen des Hochstapelns scheint eine Konstante der menschlichen Zivilisation, zeitunabhängig, geschlechtsneutral, alt wie die Menschheit, immer wieder auftretend, nie ganz versiegend, verheissungsvoll verführerisch, unaufhaltsam, solange eben Menschen träumen. Und dies – seien wir einmal ehrlich – hat doch auch etwas Tröstliches?
HARALD NICOLAS STAZOL