kleines brevier über die kunst des werbens

Man kennt das ja: Vom Eise befreit sind Strom und Bäche und das nächste, was passiert, ist, dass man jemandem über den Weg läuft und alle friedlichen Vorsätze des alten Jahres unrettbar dahin sind. Man ertappt sich dabei, am Selbstbild ruinöse Lecks und schauderhafte Fehler zu erkennen, tut alles, um davon abzulenken und will am liebsten nur eines: Sich selbst vergessen.
In tiefem Schock steht man vor dem zur Unzeit aufgetauchten Objekt der Begierde und hat urplötzlich nur noch das Manual eines verschreckten Kleinkindes zu Gebote. Jede Äusserung wird auf die Goldwaage gelegt, um in allerkürzestem Moment verworfen zu sein. Das Gehirn setzt aus und man durchlebt alle Tragödien der Vergangenheit, jedes Abstürzen in zwischenmenschlichen Dingen, jeden Verlust, alles Nichtwiedergutzumachende. Man steht wieder dort, wo man eigentlich nie hinwollte: Vor dem persönlichen Scheitern. Um diesem nun ein für allemal und auf ewig vorzubeugen, hier ein paar Tips aus dem Munde eines Berufenen, eine kleine Anleitung zum Erfolg:

1. Vorsicht! Immer und überall. Jede noch so naiv gemeinte Äusserung kann fatale Folgen haben. Sie haben keinerlei Ahnung über die schon längst gefällten Urteile und Erfahrungen ihres Gegenübers. Seien sie taktvoll (Takt ist jene leicht veraltete und in der modernen Konsumwelt leider längst in Vergessenheit geratene Eigenschaft, die die Grundlage jeglichen Erstkontaktes bis weit in das 19. Jahrhundert war und Anfang des 20. einen langsamen und schmerzvollen Tod erlitt. Sie erinnern sich dunkel? Sehr gut!)
2. Machen Sie sich keinerlei Illusionen. Während Sie noch in der Vergangenheit schwelgen, erfordert die Situation jetzt ganz neue Strategien und die durchlittenen Fehlschläge sind für die nun zu bewältigende Aufgabe von keinerlei Nutzen. Erfinden Sie sich selbst neu.
3. Seien Sie überraschend! Variatio delectat. Das gilt für die Mauerwerke des Bauhaus ebenso wie für die Anbahnung jedweden Verhältnisses, und bestimmt die
4. Kunst der Konversation: Sie ist unbedingt zu beherrschen (auch so ein Opfer des Industriezeitalters und der überschnellen Gesellschaft der Gefühlskalten). Zuhören gehört dazu ebenso, wie das instinktive Eingehen auf Themen, von denen Sie womöglich nicht die geringste Ahnung haben. Wie segnungsreich sind die Stromschnellen eines guten Gesprächs!
5. Seien Sie humorvoll! Nichts ist langweiliger als Reminiszenen an längst vergangene Tage oder das triste Einerlei alltäglicher Dinge, die völlig trocken und ohne den schalkhaften Schmelz eines Scherzes immer neu eingekocht werden. Der Blick aus dem Augenwinkel, die Beleuchtung eines Erlebnisses aus einer neuen Perspektive, kurz, der Witz freudianischer Couleur sind das Salz des frischen Moments. Voraussetzung dafür: Eine gewisse
6. Intelligenz. „Dass man etwas zu sagen habe, damit kommt man weit“ (Lichtenberg) Lassen Sie sich etwas einfallen.
7. Erwarten Sie nichts! Wenn Ihnen die neue Bekanntschaft ohnehin nur als Projektionsfläche dient und ihre vorschnellen Hoffnungen befriedigen soll, haben Sie auf dem Parkett der Neuanbahnungen nicht das Geringste zu suchen.

Und dann – vergessen Sie alles vorher Gesagte. Es gibt in der Kunst des Werbens keinerlei Erfolgsgarantie. Die Werbung gleicht einem Glücksspiel, der glänzenden, unvorhersehbaren Kugel beim Roulette oder dem Setzen auf einen Derbyfavouriten.

Und das ist, seien wir ehrlich, das unsagbar Schöne daran. Friday, April 28, 2006, 14:35