„Deutschland ist zur Zeit depressiv“, sagt Hans Stern, 83, Millionär,
Hans Stern
„ich weiß gar nicht warum.“ Da macht er doch lieber einfach einen neuen Shop auf,
diesmal in Hamburg. Eine Kur à la brasilienne.
Angelina Jolie und Collier von H.Stern
Mit zehn Mark in der Tasche emigrierte der sechzehnjährige Hans Stern im
Februar 1939 mit seinen Eltern und dem Großvater aus Nazi-Deutschland von
Essen aus nach Brasilien. Als er seine Ziehharmonika verkaufte, hatte er 200
Dollar Startkapital, ein befreundeter Bankier gab ihm 1000 Dollar Kredit.
Heute herrscht H.Stern über ein Juwelenimperium mit 160 Shops weltweit.
Natürlich ist sein Konzern in Familienbesitz – schon seit 60 Jahren. Und er
bleibt es auch. Selbstverständlich besucht Hans Stern jedes seiner Geschäfte
einmal im Jahr. Und sieht dort nach dem Rechten. Ganz offensichtlich macht
ihm das Arbeiten jeden Tag noch einen Heidenspaß. Und das mit über 80
Jahren.
Diesmal feiert er die offizielle Eröffnung seines Flagship-Stores in
Hamburg. Und im Trubel könnte man ihn leicht übersehen. Tut man aber nicht.
Er fällt zu sehr auf: Ein kleiner, gutgelaunter, fast zerbrechlich schmaler
Mann mit weißem Schnurrbart und besten Manieren, ganz feiner Stimme und
druckreifer Sprache, im englischen Maßanzug, von Gold und Juwelen umgeben,
gibt einen Empfang am Neuen Wall. Gespräch mit einem Optimisten alter
Schule.
Interview Hans Stern
HNS: Herr Stern, Sie sind 83, lesen jeden Tag 50 E-Mails, kümmern sich
persönlich um jede Reklamation und lassen von allen Mitarbeitern vor ihrer
Einstellung graphologische Gutachten anfertigen…
HS: (blickt kurz auf die Handschrift auf meiner Visitenkarte) …sonst kann
ich ihnen nicht vertrauen. Sie zum Beispiel haben eine sehr expressive
Schrift. Wissen Sie, ich habe in meinem Leben manchmal den falschen Menschen
vertraut. Das geschieht mir nun nicht mehr. Es gibt schlechterdings nichts
aussagekräftigeres als die Handschrift eines Menschen. Das ist auch der
tiefere Sinn von handgeschriebenen Bewerbungen. Ein alter Brauch, zugegeben,
und in den Zeiten des Computers ein wenig aus der Mode gekommen. In unserem
Hause aber immernoch üblich – und sehr, sehr nützlich.
HNS: In Zeiten der deutschen Rentendiskussion sind Sie ein Beispiel für das
Arbeiten im hohen Alter.
HS: Sehen Sie, ich kann mir nicht vorstellen zu Hause zu sitzen und Däumchen
zu drehen. Manche Menschen sind mit fünfzig schon müde oder mit sechzig. Das
ist individuell. Ich habe einfach Glück.
HNS: Dies, harte Arbeit und das alttestamentarische Buch Hilal (Tue anderen
nur, was du selbst dir getan haben möchtest) sind das Geheimnis Ihres
Erfolges. Der Verkauf Ihrer Ziehharmonika gab Ihnen vor nunmehr sechzig
Jahren das Startkapital Ihres Konzerns. Finden Sie das Gejammere in
Deutschland da nicht ein wenig übertrieben?
HS: Ich komme jedes Jahr nach Deutschland und die Geschäfte laufen wirklich
gut. Aber die Grundstimmung in Deutschland ist eine der Depression, die nun
auch schon ziemlich lange andauert. Die Leute sind pessimistisch, das ist
schade und eigentlich auch unnötig. Natürlich gibt es die Arbeitslosigkeit,
aber die gibt es ja weltweit. Deutschland ist doch nach wie vor ein reiches
Land! In Brasilien haben die Leute auch kein Geld und kommen damit aber viel
besser zurecht, obwohl sie sehr viel ärmer sind und auch wesentlich
chancenloser als ein Durchschnittsdeutscher.
Die Zieharmonika konnte ich übrigens spielen, ich litt als Kind aber
furchtbar unter stage fright, wie sagt man auf Deutsch: Lampenfieber. Da
mußte ich natürlich arbeiten und die Sprache erlernen, wir hatten ja kein
Geld für Schule oder Universität. Nach dem Krieg habe ich mich selbstständig
gemacht und als Kommissionär gearbeitet, das heißt: Da bin ich ins Innere
des Landes gefahren, habe Steine in Kommission gegeben und sie an Juweliere
und Fabrikanten und Exporteuere verkauft. Dann habe auf eigene Rechnung
gekauft, eine Schleiferei aufgemacht, eine Kleine, dann ein Atelier für
Schmuckanfertigung.
HNS: Glauben Sie, dass ein junger Mensch Ihre Karriere heute noch einmal
machen könnte, unter den gegebenen Umständen?
HS: Warum nicht? Das geht natürlich nicht von heute auf morgen.
HNS: Sie haben vier Söhne, von denen zwei im Unternehmen mitarbeiten. Roberto
hat soeben mit der Designerin Diane von Fürstenberg eine neue Kollektion
entworfen, die noch im Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt werden wird.
Eines der Stücke nennt sie ihren „Powerring“. Hat sich das Image der Schmuck
kaufenden Frauen, das Selbstverständnis der Frauen überhaupt, in den
vergangenen 60 Jahren grundsätzlich verändert?
HS: Die Frauen sind natürlich sehr viel selbstbewußter geworden. Eine junge
New Yorkerin will sich auch einmal etwas gönnen. Natürlich ist dies für sie
auch eine Frage des Status, darin unterscheidet sie sich nicht von unseren
saudischen Käuferinnen. Die sind allerdings etwas ornamentaler und sie
kaufen mehr ein, das liegt aber im Charakter der Petro-Dollars. Aber wir
bieten ja auch schon etwas für den kleinen Geldbeutel. Sehr beliebt sind zum
Beispiel unsere weddingbands. Vor allem junge Paare sind sehr zufrieden
damit und wenn wir Glück haben kommen sie dann später wieder. Sie werden
bemerkt haben, dass dies unsere Firmenphilosophie ist. Unser Motto lautet ja
nicht ohne Grund „We are a part of you“ – wir sind ein Teil von Ihnen. Das
nehmen wir wörtlich. Und der Erfolg gibt uns recht.
HNS: Das Segment für Luxusartikel wie Armbanduhren und Schmuck hat sich trotz
des herrschenden Wirtschaftsklimas immer mehr vergrößert. Ihre Konkurrenz
fährt Quartalshoch nach Quartalshoch ein. Wollen Sie ihren Anteil am
Uhrenmarkt mit mehr eigenen Modellen vergrößern?
HS: (zeigt sein Handgelenk): Oh, unsere Writwatches sind ein Dauerbrenner.
Ich habe die erste batteriebetriebene Quartzuhr Brasiliens entwickelt. Nun
trage ich die Saphir, wie Sie sehen…
HNS: …das Uhrenglas ist aus synthetischem Saphir, praktisch unzerstörbar.
Eine ihrer Herrenuhren, die Kaliber 262, aus der Familie der „Mecaniques“
kostet allerdings etwa 14000 Euro…
HS: …nun gut, aber dafür kriegen Sie ja auch was für Ihr Geld. Das ist nicht
immer und überall so.
HNS: Wo´s doch in Deutschland zur Zeit überall am nötigen Kleingeld fehlt.
Vor allem die Bildungsdebatte in Deutschland hat das politische Klima der
letzten Zeit sehr belastet, das Bildungssystem steht vor tiefen
Einschnitten. Gerade jüngere Leute aus ärmeren Schichten sehen sich mit
Studiengebühren konfrontiert.
HS: Dabei ist Bildung doch das Hauptkapital dieses Landes. Bildung, Bildung,
Bildung – human resources sind wichtiger denn je. In Brasilien sind die
Universitäten, sind fast alle weiterführenden Schulen kostenpflichtig. Die
Folge ist ein Ausschluß der Armen für höhere Karrieren. Das sind
hausgemachte Probleme, die man leicht abstellen kann. Es ist schon ein wenig
erstaunlich, dass Deutschland im Begriff steht, ähnliche Fehler zu machen.
HNS: Wie haben Sie es denn mit Ihren Söhnen gehalten?
HS: Ich habe sie in die Welt hinausgeschickt. Zwei meiner Söhne haben
Gemmologie, Edelsteinkunde studiert, der eine in Idar-Oberstein, der andere
in Kalifornien. Es hat ihnen nicht geschadet, und vor allem sind die social
networks, die sie dabei aufgebaut haben, von nahezu unschätzbarem Wert.
HNS: A propos: Hier sind drei geschliffene Edelsteine, die Sie sich bitte
einmal ansehen wollen.
Können Sie als Experte dazu irgendetwas sagen? Was das genau ist?
HS (lacht, nimmt jeden Stein einzeln in die Hand, hält ihn hoch ins Licht,
legt die drei Steine nach Farbe sortiert vor sich auf den Tisch): Nein, ich
will Ihnen sagen warum: Gelb das sind ja gelbe Steine, da gibt es zwanzig
verschieden Möglichkeiten. Tourmaline, Topaz, Citrin, gelber Saphir, es gibt
noch alle möglichen anderen Farben, da gibt es gelbe Konzite…, das kann man
nur genau sagen, wenn man es testet. Dazu benötige ich schon gewisse
Instrumente. Ein Refraktometer, wir haben da in Rio ein Laboratorium, da
gibt es Gemmologen, die können das feststellen. Das spezifische Gewicht und
natürlich eine Lupe sind hierfür unerlässlich. Aber sie sehen ja ganz hübsch
aus.
HNS: Und man könnte sie Ihnen jetzt überlassen, damit sie sie fassen, und
zwar so, dass sowohl meine Großmutter im Harz sowie meine Schwester in
Vancouver daran ihre Freude hätte?
HS: Dazu müssten sie aber schon selbst nach Brasilien mitkommen. Oder ich
nehme die Steine mit. Aber natürlich ist es möglich. Und auch gar nicht so
abwegig. Dann könnten wir auch eine Partie Schach spielen. Das tue ich
ziemlich gern und ziemlich oft. Am liebsten mit meinen Söhnen. Inzwischen
schlagen die mich zwar immer öfter, aber es hält mich geistig fit. Gar kein
schlechtes Training, eigentlich.
HNS: Wie kommen sie denn auf Ideen? Stellt man sich die Familie Stern am
Abendbrottisch vor, über Entwürfe gebeugt?
HS: Nein, Roberto, mein ältester Sohn ist der Creative Director. Natürlich
habe ich ein Veto-Recht. Aber davon habe ich in den letzten zehn Jahren nur
einmal Gebrauch gemacht.
HNS: Jetzt wollen wir natürlich wissen, worum es da ging.
HS: Nun, mein Sohn wollte damals den Laden am Flughafen von Lissabon dicht
machen. Der war ihm zu schäbbich. Ich habe damals nein gesagt, habe
natürlich Recht behalten und inzwischen ist der Flughafen ja auch tadellos
renoviert.
HNS: Kurzfristigkeit und schnelles Handeln zahlt sich in Ihrem Gewerbe also
nicht aus.
HS: Nein man braucht schon einen langen Atem. Man kann nicht jedem Trend
hinterher hetzen. Das gilt auch für Standorte. Mit München zum Beispiel bin
ich sehr zufrieden. Unser Flagship-Store, den wir heute Abend hier in
Hamburg am Neuen Wall offiziell eröffnen, hat uns zwei Jahre Arbeit
gekostet: Miete, Innenarchitektur usw., sie wissen ja wie das ist – ein
jedes Ding hat seine Zeit. Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, steht
unsere große Glastür immer offen. Wir wollen Treffpunkt sein, ein Ort der
Gastlichkeit. Auch für Laufkundschaft oder wie man Neudeutsch sagen würde:
Für Impulskäufer. Gestern Abend war ich noch in unserem Laden in Cannes.
HNS: Der liegt natürlich direkt an der Croisette?
HS: Zwischen den beiden Luxushotels, wie heißen die noch, das Negresco und
das Ritz Carlton. Das ist natürlich nur für das Saisongeschäft.
HNS: Für die Schauspieler und solche, die sich dafür halten. Ist das nicht
oft eine Atmosphäre der heißen Luft? In Hollywood haben Sie Angelica Jolie
mit einem Collier ausgestattet, Catherine Zeta-Jones trug 2001 eine
50-Karat-Aquamarin aus Ihrer persönlichen Kollektion.
HS: Nun ja, da ähneln sich die Branchen, Hollywood kennt man ja auch. Stars
sind eben ein ganz eigenes Völkchen.
HNS: Wie zum Beispiel Kate Moss? Man hört, sie erwägen eine Trennung von ihr,
im Zuge jenes Drogenskandals, können aber die Print-Kampagne für Oktober
nicht mehr stoppen?
HS: Wir verurteilen strengstens jede Art von Drogen und vertreten bereits
seit langem eine Zero-Tolerance-Policy. Wir wissen noch nicht, ob sich der
Moss-Skandal auf unser Image auswirkt. Ich prüfe mit meinen Söhnen weitere
Schritte.
HNS: Davon einmal abgesehen, erwägt der Familienrat auch einen Börsengang,
wie es zum Beispiel die Bulgari-Gruppe getan hat?
HS: Das überlegen wir natürlich ab und zu. Aber es geht natürlich auch um
die Kontrolle des Unternehmens. Die behalte ich doch ganz gerne selbst. Man
kann auch viel schneller reagieren, die Wege in der Firma sind kürzer, wenn
man das Heft in der Hand behält. Ich habe 3300 Mitarbeiter weltweit.
Neulich zum Beispiel haben wir mit zwei sehr begabten Möbeldesignern
zusammen gearbeitet, zwei Brüdern. Die hatten die interessante Idee wie man
Möbeldesign in Schmuck transferiert. Solche Leute, schillernde
Persönlichkeiten, die uns vor allem für die Pulangao-(???)-Kollektion
inspiriert hat. In Bayaé gibt es einen Mann, der heißt Carlinus Braun, es
ist ein Sänger und Musiker, auch er hat uns inspiriert, da gibt es
verschiedene Quellen. Und natürlich eben die Modedesigner, ein lustiges
Völkchen. Frau von Fürstenberg ist in Brasilien sehr beliebt. Sie ist
natürlich keine ganz einfache Person, aber sie kann sehr nett und sehr
kooperativ sein. Mein Sohn Roberto hat ein ausgezeichntes Verhältnis zu ihr.
Ihre Präsentation an der Fifth Avenue war ein voller Erfolg. Wie war denn
ihr Eindruck von Paolo Bulgari?
HNS: Ein wirklicher Grandseigneur seines Faches, schon vor zehn Jahren. Nun
ist es ja eher sein Schwiegersohn Francesco Trappani, der die Geschäfte
leitet, und auch den Börsengang vorangetrieben hat. Haben Sie in Basel auf
der Schmuckmesse den Bulgari-Stand gesehen? Allein die Treppe, fast wie ein
Mausoleum, so groß. Sie selbst waren ja 2003 zum ersten Mal auf der Messe
vertreten.
HS: Da nichts so wichtig für den Kunden ist als Branding, das Bilden eine
Marke, haben wir uns auf diese internationale Plattform begeben. Die Kosten
sind allerdings immens…
HNS: … die Schweizer Messeleute nehmen es ja wirklich vom Lebendigen…
HS: (leise, abgewandt) … vom Lebendigen, ganz Recht: Auf- und Abbau des
Standes, das Einlagern der Bauteile, dies, das, es läppert sich. Auch die
ganzseitigen Anzeigen, die wir in fast allen größeren Modemagazinen
schalten, sind recht teuer…
HNS: …aber offenbar notwendig. Zahlt sich so eine Markenpräsenz denn immer
gleich aus?
HS: Auch dies ist eine Strategie, die ihre Zeit braucht. Aber je stärker die
Marke plaziert ist, desto höher der Umsatz am Ende.
HNS: Neulich kam eine Kundin zu Ihnen in den Hamburger Laden und wollte ein
Armband repariert haben, aus der Linie Rainbow, mit den bunten Steinen in
Regenbogenfarben geordnet. Die kann man nur in Brasilien kaufen. Finden Sie,
dass das Jet Set beweglicher geworden ist?
HS: Zunächst mal haben wir eine sehr nationale Klientel: Der brasilianische
Markt wird fast zu 80 Prozent von Brasilianern bestritten. Früher reisten
die Herrschaften um Südamerika herum, das hat sich geändert. Gerade unsere
Flughafen-Boutiquen, wie zum Beispiel die in Frankfurt, verzeichnen gute
Zahlen. Ein Armband von uns kann auch schon mal kaputtgehen, gerade die
Fassungen der sehr flexiblen Glieder sind recht fragil – aber das läßt sich
natürlich alles reparieren. Das ist für uns ganz selbstverständlich. Ich
will auch immer die Lösung solcher Probleme verfolgen – auch einer der
Gründe, warum ich täglich um halb neun im Büro sitze. Das Armband, von dem
Sie sprechen, ist übrigens wieder tadellos in Schuß.
HNS: Her Stern, haben Sie noch einen exclusiven Tip an die jüngere
Generation?
HS: Es gibt immer Wege. Ich hatte zehn Mark in der Tasche, als ich mit 16 in
Brasilien ankam. Ich habe als Stenotypist begonnen, bei einem
Mineralienexporteur. Und mein Durchbruch war, als ich erkannte, dass
Brasilien das Land der Juwelen ist. 80 Prozent aller Steine weltweit kommen
aus Brasilien, es gibt dort keinen Stein, den es nicht gibt. Wir haben vor
gar nicht allzulanger Zeit zehn Jahre lang Smaragde genau farblich
abgestimmt, für ein Kollier – wir brauchten zehn Jahre, um die richtigen
Steine zu finden! Nun: Es ist eigentlich alles ganz einfach. Sie sehen: Man
darf die Hoffnung niemals aufgeben. Und man sollte sich den Humor bewahren
(lacht).
Das Interview führte HARALD NICOLAS STAZOL
Saturday, November 12, 2005, 14:37