Die Wahrheit, ungeschminkt
Make-Up und Männer passen einfach nicht zusammen. Das fängt schon beim Styling der Schminkwerkzeuge an. Für die weibliche Anmut setzt die holde Weiblichkeit futuristisch anmutende Gegenstände ein, Dinge, die für uns, die Männer, oft genug etwas Unheimliches haben. Haben Sie kürzlich vielleicht einmal einen modernen Lippenstift gesehen, einen von Chanel womöglich? Abgesehen vom einkommensschwächenden Preis sieht er aus, als könne man damit eine Atomrakete starten, Mikrofilme transportieren oder Uran 238. Auch kritisch: Die bunten Puderkugeln von Guerlain, so farbenfroh, dass man sie nach durchzechter Nacht irrtümlich für Bonbons halten könnte…
Warum der ganze Aufwand? Der berühmte Psychoanalytiker C.G. Jung gibt eine der möglichen Antworten: Nach seiner Theorie beherbergt jeder Mann (Animus) in seinem Inneren das Idealbild einer Frau (Anima) – und natürlich bemühen sich die Frauen dieser Welt verzweifelt darum, diesem gerecht zu werden. Sie verschönern sich – und das schon seit dem Perikleischen Zeitalter (700 v. Chr.) – mit allen Mitteln. Und dies im wörtlichen Sinne: Im alten Rom rieb man sich Bernstein ins Haar, im elisabethanischen England half man dem Antlitz mit Bleiweiss nach, und heute lähmen sich Millionen Amerikanerinnen mit dem Nervengift Botox die Falten weg – auch eine Art des Permanent Make-Up.
Ein weiterer Beweggrund: Die ewige Suche nach wahrer Zeitlosigkeit. Die weibliche Psyche gibt sich im Akt des Schminkens der Illusion hin, dem nagenden Zahn der Zeit wenigstens einen Abend lang Paroli zu bieten. In allen Zeiten zweidimensional in Gemälden verherrlicht – man denke nur an Bouchers federleichtes Portrait der in Pastelltönen gehaltenen Madame Pompadour (1750, Alte Pinakothek) – will die Dame von Welt im Dreidimensionalen zumindest Ähnliches erreichen. Und Männer, leichtgläubig, wie sie nun mal sind, lassen sich einfach so gerne verführen…
Und wovon? Von den Farben! Gerade an den Lippen einer Frau! Dabei sind Lippenstifte der natürliche Feind des Oberhemdes. Wer zählt die Beziehungen, in denen die falschen Farbe, sagen wir, Rouge Hydrabase Waikiki oder Electric, als direkter Indizienbeweis für Verwicklungen sorgt? Wehe, man wird mit solchen Spuren entdeckt! Was dann folgt, immer, ist, gelinde gesagt, eine Katastrophe. Lippenstift, zumal zur falschen Zeit am falschen Ort, ist so ziemlich das risikovollste Erzeugnis der weltweiten Schönheitsindustrie. Ehen können daran scheitern, Beziehungen zu Bruch gehen, Affären sich in Nichts auflösen. Schneller, als man einen solchen Stift entsichern, ach nein, aufdrehen kann.
Übrigens mag auch die Genetik eine Rolle im Make-Up-Verhalten der Frauen spielen: Die Schönste auf dem Markt der Eitelkeiten bekommt das fähigste, fruchtbarste, womöglich auch reichste Alpha-Männchen ab. Aber womöglich ist dies nur eine sexistische Spekulation.
Eine kurze Situationsanalyse: Wie lange braucht eine durchschnittliche Frau – falls es so etwas gibt – für ihre schmetterlingshafte Verwandlung im Badezimmer? Eine Stunde vor dem Spiegel? Zwei? Der Herzog von Windsor, vielleicht der berühmteste Prototyp des von Make-Up genervten Mannes und einer der berühmtesten Gentlemen seiner Zeit, litt besonders unter solch weiblicher Zeitverschiebung. Immerhin war der Herzog als Edward der VIII. der ehemalige König von England. Er hatte für seine Wallis dem Thron entsagt, war also eigentlich ziemlich hart im Nehmen. Um nun im Entrée seiner Villa in Neuilly, Paris, jeden Abend auf die Herzogin zu warten. Und zu warten. Und zu warten.
Zugegeben, sie galt als eine der elegantesten Damen der Welt. Und machte sich halt eben noch mal stadtfein. Oder operntauglich. Trug ihre Shoppingmaske auf, porzellangleich. Wollte noch mal kurz zu Cartier. Und der Herzog saß da. Und weinte leise.
Zum Heulen ist es ja irgendwie auch, denn: Wie lange benötigt der durchschnittliche Lebensgefährte, bis er endlich ins Bad darf? Derselbe Mann, für den sie (im besten Falle) ja all die Anstrengungen ihr Gesicht betreffend unternimmt? Wer beschreibt die Ungeduld, die ein Mann jeden Tag durchleiden muss? Um schließlich, natürlich nach ihr, unter all den Tiegelchen, den Töpfchen, den fremd und bedrohlich aussehenden Aussehensverstärkern, sein Rasierzeug zu suchen? Der Platz im Bade wird doch anderweitig so dringend benötigt. Für ihre geheimen Schönheitsmittelchen. Hat das nicht jeder Mann schicksalsergeben schon einmal erlebt? Eben! Und was kann Mann dagegen tun? Seien wir mal ehrlich: Irgendwelche Gegenmaßnahmen – die können wir uns abschminken.
HARALD STAZOL