Kate Moss weint – as published in Grazia

@05 Lauftext:
Kate weint, und sie weint selten. Sie sagt alles ab. Ist nicht zu sprechen. Für niemanden. Sie bleibt zuhaus und spielt mit ihrer Tochter. Die fragt sich, warum Mum Tränen in den Augen hat. Und was soll Mum denn jetzt sagen, der kleinen Lila Grace? Sie ist doch erst acht! Aber Onkel „Lee“ kennt sie, so heisst Alexander McQueen für Kate, für Freunde, für seine Familie – nun, er wird nicht mehr kommen. Wie soll man einem kleinen Mädchen denn sonst den Tod erklären? Einen Selbstmord? Unmöglich.
Das weisse Stadthaus in Camden an der Primrose Hill Road, Kates Heim, es liegt still da. Keine Party heute, morgen, kein Dinner mit Freunden, bis auf weiteres nicht. Gerade erst hat Kate Moss ihre Handtaschenkollektion für Longchamp vorgestellt, energetisch und jugendfrisch hat die 36jährige in New York gewirkt und Kette geraucht, natürlich. Sie, die doch seit den 90ern eigentlich keine Interviews mehr gibt. Eine ihrer Taschen soll Platz für zwei Flaschen haben, ein lederner Getränkehalter, „ideal für Rockkonzerte wie Glastonbury“, hat sie gescherzt und gelächelt, eines ihrer seltenen Lächeln, die schöne, vielleicht schönste Frau der Welt. Doch wer denkt jetzt noch an Handtaschen? Keine Pressetermine wird sie in den nächsten Tagen wahrnehmen, keinen Empfang besuchen, den Paparazzi, die vor ihrer Haustür lauern, keine Angriffsfläche bieten. Einmal nur am Wochenende geht sie kurz vor die Tür, im grauen, schmalen Pelz, mit riesiger Sonnenbrille, eine feine, zweireihigen Goldkette um den Hals. Müde sieht sie aus, gefasst, aber erschöpft. Sie geht zu einem Laden für Kinderkleidung und ja, ihr Arzttermin ist da noch, beides lässt sich nicht aufschieben – aber ihre Augen sind so verheult, dass sie ihre Sonnenbrille trotz des trüben, Londoner Winterwetters nicht abnimmt. Fast kraftlos huscht sie an den Fotografen vorbei, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen. Das ist der Preis, wenn man ein Leben im Rampenlicht führt, wenn man weltberühmt ist. Wahrscheinlich gibt es mehr Abbildungen von ihr als von der heiligen Jungfrau, aber das ist ihr jetzt egal. Sie, die ohnehin manchmal von Melancholie heimgesucht wird, nun, es liegen dunkle Tage vor ihr. Sie, die alles hat, Ruhm, Reichtum, Schönheit, ist schwer getroffen.
Ein Halt ist Lila Grace. „Ich bin Mutter“, sagt Kate einmal ganz weich, „jeden Tag, immer, und ich bringe sie jeden Abend selbst zu Bett.“ Das Mädchen fragt sogar manchmal, ganz die Mama, „,sieht dieser Look gut aus?“ Dann lächelt Kate. Doch diesen Abend, noch viele Abende, wird sie sich nichts anmerken lassen, sich für das Kind zusammenreissen und nur traurig lächeln.
Kate hat ihn wohl geliebt, auf ihre Weise, ihren „Lee“, den dieWelt als Alexander McQueen kennt und der sich nun erhängt hat. Sie ist „am Boden zerstört“. Die beiden verband etwas, was in der Modewelt sehr selten ist: Eine wahre Freundschaft.
Immer steht er zu ihr. Als sie beim Koksen fotografiert wird und die Zeitungen das Bild ganzseitig bringen am 15. September 2005, als sie abzustürzen droht aus dem Olymp der Modewelt. Als Werbeverträge gekündigt werden und die britische Presse sie fertigmacht.. Als niemand mehr zu ihr hält: „We love you Kate“, steht da auf Alexanders T-Shirt, so nimmt er 2005 in Paris die Ovationen des Publikums entgegen. Die Drogen, das Koks auf Silbertabletts, Parties, die drei Tage dauern, er kennt das alles. McQueen ist es, der seine Freundin auf den Laufsteg zurückholt, in Paris 2006, als spektakuläre Holographie. Unter einer riesigen Glaspyramide schwebt sie zur Geigenmusik von „Schindler´s Liste“, ganz in weiss, eine geisterhafte Erscheinung, eine Fee, Nichts anderes ist sie für ihn.
Sie ist die Zerbrechliche, er der kerlige Typ. Wenn er sie in den Arm nimmt auf dem roten Teppich, ist er ganz vorsichtig. So, als wolle er sie nicht zerquetschen. Ihr Umgang ist fast zärtlich, sie freuen sich wirklich, wenn sie sich sehen. Dass am Ende McQueen der Zerbrechlichere von beiden ist, ja, dass er am Leben zerbricht, man ahnt es noch nicht. Doch auch ihn überfällt manchmal Melancholie. Vor den Schauen ist er oft cholerisch – aber als sie in der angesagten Purple Bar im Sanderson Hotel zufällig einmal am Nebentisch sitzt, zusammen mit ihren „Freunden“ Jade Jagger und dem Verlagserben Dan Macmillan, ist sie auch missgelaunt und frech, geradezu unverschämt. Es ist fast, als hätte sie sich einen Schutzpanzer angelegt, ihr Misstrauen gegenüber Fremden ist groß. „Are you stalking us“ fragt sie sofort und es ist nicht leicht, diesen Verdacht auszuräumen und dabei höflich zu bleiben. Der Druck ist groß in der Welt der Mode. Und die kann grausam sein.
Den Sohn eines Taxifahrers und die Tochter einer Barfrau verbindet viel. Katerine Anne Moss kommt aus Croydon, einem tristen Londoner Vorort, Lee Alexander McQueen aus Stepney, einem Proletarierviertel im Osten Londons. Sie landet mit 16 Jahren die Calvin-Klein-Kampagne, definiert den „Heroin Chic“ , bricht die Herrschaft von Claudia Schiffer und Naomi Campbell endgültig. Wie nebenbei legt sie sich ein „Fuck-you-all“-Image zu. Man wirft ihr vor, dass sie magersüchtig sei, sie sagt: „Nur weil ich aussehe wie zwölf“, und ihre Augen funkeln kalt. Sie hat sich einen stählernen Blick angewöhnt, und manchmal scheint ihr alles egal zu sein. Lee aber ist ihr nicht egal.
Ihr Aufstieg ist kometenhaft und seiner auch: Im Jahr 1996 schreibt McQueen mit seiner „Higland Rape“-Show Modegeschichte, die Models sehen aus, als wären sie von britischen Kolonialtruppen vergewaltigt worden, Tartans, messerscharfe Schnitte, harte Beats aus den Lautsprechern – es ist, als hätte Coco Chanel nie gelebt. Mit nur 26 Jahren wird er vom Haute-Couture-Haus Givenchy engagiert, da gilt er schon als genial. Niemand kann mit Stoffen und Schere so gut umgehen, wie Lee Alexander McQueen. Und niemand kann so schön vor den Kameras der Topfotografen posieren wie Katerine Anne Moss.
Alexander und Kate, sie sind jetzt das Doppelgestirn am britischen Modehimmel, beide „enfants terribles“, weltberühmt, unangefochten.
Scheu sind sie beide privat. Und einsam auch. Sie suchen in der oberflächlichen Welt der Mode nach jemandem, der Halt geben kann, endlich verlässlich ist, nach der grossen Liebe vielleicht. Auch das verbindet.
Eines Tages ist es soweit. Für ihn. Kate Moss sitzt mit beim Dinner im Groucho Club, so nahe sind sie sich, es ist ein intimer Kreis, als Alexander seinem neuen Freund George einen Antrag macht. Sofort will sie Brautjungfer sein. Im Hafen von Ibiza Stadt, an Bord einer Yacht, sind dann all diese Küsschen-Küsschen-Freunde. Irgendwann steht George alleine da und Jude Law kommt auf ihn zu und sagt „Du kennst hier niemanden, nicht wahr?“ Es ist die reine Wahrheit, denn in dieser Party-Possy kennt eigentlich niemand jemanden wirklich, es ist eine leere, eine traurige Welt, in der nur der Schein zählt. Und eben der Erfolg. George gehört einfach nicht dazu. Als er Kate etwas später auf der Strasse in London trifft und sie anspricht, geht sie einfach weiter. Da ist er wieder, der Schutzpanzer: „Sie hat mich nicht mal beachtet, meine eigene Brautjungfer“. Alexander erklärt ihm einmal, dass die Modewelt eben so sei. Dass es auch für ihn nicht einfach ist. Da ist die Ehe der beiden schon zum Scheitern verurteilt.
Als McQueen die Anteile an seinem eigenen Label für 20 Millionen Pfund an die Gucci-Group verkauft, 2001, gehört Kate schon zu den reichsten Frauen Englands, so ziemlich gleich nach der Queen. Im Jahr 2002 kommt dann Töchterchen Lila Grace zur Welt, der Vater ist Mitverleger der hippen Modezeitschrift „Dazed & Confused“ – es scheint, dass die zarte Kate nun angekommen ist im wirklichen Leben. Aber auch diese Beziehung scheitert. Dann trifft sie Pete Doherty. Er ist Gast auf ihrer Geburtstagsparty. Doch schon bald darauf verkaufen seine „Freunde“ intime Fotos des frischgebackenen Liebespaares an die Presse. Das geht nicht lange gut. McQueen hat auch nen Neuen, einen Australier, der geht bald und wird von einem Pornostar, „Mr.Stag“, ersetzt, aber das ist schnell vorbei. Auch Scheitern verbindet.
Kates Koks-Skandal? Der ist ganz schnell vergessen, sie ist schon im September 2006 „hotter den ever“, sie landet zehn lukrative Anzeigenkampagnen und wird einfach immer nur noch reicher.
Und Alexander? Er ist auf der Höhe seines Ruhms, seine letzte Schau, ein zerfetzter Fashion-Abgesang, symbolhaft für die Wirtschaftskrise, wird frenetisch gefeiert. Doch er, der unumschränkte Star, ist ganz allein. Noch vor Kurzem soll er gesagt haben, die Mode interessiere ihn nicht mehr. Als am 2.Februar seine Mutter stirbt, stürzt er in die Finsternis. Wo sind sie denn jetzt, all seine „Freunde“?
Die Polizei findet einige Abschiedsbriefe in der Wohnung des Selbstmörders. Einer davon ist sicher an Kate.

HARALD NICOLAS STAZOL

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