kleines modebrevier aus NYC

WAS IHR WOLLT
Theaterstück, den Mut in der Mode betreffend.
Als Hauptdarsteller fungieren:
Harald N. Stazol, schwererziehbar, selten erreichbar, seit zehn Jahren deutscher Modeschreiber für Financial Times, Stern, Merian. Klassisch im Stil, gnadenlos in der Recherche, untadelig im Auftreten.
Anna Wintour, Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, dem Flagschiff der internationalen Modemagazine. Gebürtige Britin. Verheiratet, zwei Kinder. Lächelt selten, ihr Unmut ist der Alptraum aller Designer.
André Leon Talley, schwarz, riesig, Vogue-Kolumnist. Immer mit Einkaufstüte, Schal und Stretch-Limo unterwegs. Wenn er lacht, brechen unter ihm schon mal die fragilen Pariser Goldstühlchen bei Gaultier zusammen.
Grace Coddington, rothaarig. Wichtigste Stylistin der Nordhalbkugel. Kein Foto von Rang, kein Model von Bedeutung, kein Star in Hollywood ohne ihren Segen. Auge, Stil und Geschmack der Lady sind legendär.
Suzy Menkes, Fashion-Kritikerin der International Herald Tribune mit schriller Stimme. Hat drei Söhne. Soll von Gianni Versace einmal Hausverbot bekommen haben, weil sie seine Show nicht mochte. Wahrscheinlich eine der klügtsen Frauen im Business.
Hilton-Sisters, amerikanische Promi-Girls mit echtem Luder-Faktor. Millionenerbinnen. Die Sprößlinge der gleichnamigen Hotelier-Dynastie tragen gern hip, hipper, am hippesten. Haben in der Branche längst als passable Kleiderständer reüssiert.
Miguel Adrover, Argentinier, dreimal bankrott, immer wieder gerettet, immer provokant. Langer Zopf, brennende Augen, politische Mode. Wirft gerne mit Scheren, schlägt Fotografen, hat Visionen und setzt sie um.
Patrick Demarchelier, Modefotograf. Macht Frauen immer schöner als sie sind und Fotos immer gleichzeitig mit drei Kameras. Spricht französisch (Heimat) und Englisch (Wahlheimat) fließend und (auch) gleichzeitig. Isst gern gut und viel, genau so, wie er redet.
Jeremy Scott, langhaariges, junges Enfant Terrible aus Kansas City. Gilt als unverstandener Modeprophet und ist mit Karl Lagerfeld befreundet. Liess seine Eltern oft nach Paris, nun nach New York einfliegen, weil sein Vater das beste Barbecue der Welt macht.
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New York, Modeherbst, die Schauen laufen an. Es ist Dienstag nachmittag, 3.O7 p.m. Eastern Standard Time, Bryant Park, gleich hinter der Public Library. 32 Grad Celsius, die Sonne weißlich-glühend. Leichter Wind aus Nord-Ost. Auftritt unseres Reporters.
Harald Nicolas Stazol: „Mrs. Wintour, einen Moment bitte, könnten Sie einmal, nur für uns, die Brille abnehmen?”
Wintour, leicht konsterniert, nimmt die Brille ab und läßt sich von irgendeinem ihrer fünf Assistenten ein Handy reichen. Beginnt hektisch zu wählen. Über die erste Reihe hinweg verbreitet sich lauffeuerartig das Gerücht, die Wintour habe ihre Brille abgenommen. In Windeseile entfernen die anwesenden Damen ihre Sonnengläser aus dem Gesicht. Am Times Square sollen Minuten später Japanerinnen dabei beobachtet worden sein, wie sie ihre Brillen wegwerfen.
HNS: „Mrs. Wintour, Sie als die mächtigste Frau der Modewelt tragen immer nur Chanel. Finden Sie das als Chefredakteurin der Vogue nicht ein wenig zu ausschließlich? Oder etwa mutig?”
Wintour murmelt zu ihrem Assistenten: „Wer ist dieser Mann? Tut den weg!”
HNS: „Stimmt es wirklich, dass Sie immer allein im Aufzug fahren, ja dass im Condé Nast Building niemand den Lift auch nur betreten darf, wenn Sie sich darin befinden? Dass auch niemand essen darf, sobald Sie das Haus betreten?”
Wintour: „Alles das…”
HNS: „Sie stehen jeden Morgen um 5.45 auf, spielen Tennis, bekommen Ihr Make-Up aufgelegt, dann werden Ihnen die Haare gemacht und Sie werden zur Vogue gefahren. Obwohl Sie beinahe die meisten Parties in New York schmeißen, bleiben Sie nie länger als die ersten zehn Minuten und sind um zehn im Bett.”
Wintour: „Ganz recht…”
HNS: „Was halten Sie denn vom Mut in der Mode? Wieso sehen Sie aus, wie Sie aussehen?”
Wintour: „Wenn ich über meine Herbst-Garderobe nachdenke – und ich fürchte so etwas braucht Planung! – frage ich einfach André. Er ist mein absoluter Vertrauter! Ich werde ja so oft fotografiert und analysiert. Die Hochzeit meines Bruders zum Beispiel Ende Herbst, da werde ich mich wohl einem Samt-Anzug von Yves Saint Laurent Rive Gauche anvertrauen. The new old thing! Sexy in the city!”
HNS: Danke, Mrs. Wintour. Aber fragen wir auch noch André, er sitzt ja ohnehin neben Ihnen.
André Leon Talley: „Hi! Hast Du meine Nachricht bekommen?”
HNS: „Äh, ja, ich glaube. Wir wollen wissen, was für Sie der Mut in der Mode bedeutet, immerhin sind Sie fast zwei Meter groß und lassen sich…”
ALT: „…Ja, diesen Mantel habe ich mir von Domenico Dolce machen lassen, mit dem Pelzkragen, ich brauche immer Maßgeschneidertes bei meiner Figur.”
HNS: „Ein Trend, nicht wahr? Wer von uns hat denn schließlich Konfektionsgröße. Kein Mensch, oder?”
ALT: „Du siehst ganz schön schlank aus, Deine Taille, passt Dir denn irgend etwas?”
HNS: „Früher viel Gucci, aber das kann ja keiner mehr sehen.”
ALT (lacht): „Ich habe nur noch Schals…”
HNS: „Und jetzt eine typisch deutsche Frage: Warum sehen Sie so aus, wie Sie aussehen?“
ALT: „Nun, ich muß weiter, war nett!”
HNS: „Ein Trendtipp? Für die deutschen Leserinnen? Ganz schnell?”
ALT: „Dare, dare, dare – wagen Sie´s! Die Dreißiger kommen wieder, die Frauen wollen einen großen Auftritt in ihrer Garderobe. Aber frag‘ doch Grace!”
Grace Coddington, DIE Stylistin des Jahrhunderts, sitzt bei Bergdorf & Goodman im fünften Stock und schreibt Widmungen in ihr gerade erschienenes Buch.
HNS: „Grace! You are adorable!”
Grace: „Ich weiß. Ein Buch gefällig? Meine besten Arbeiten? Ist gerade in Deutschland erschienen!”
Sie schreibt weiter, während die Kellner umher stürmen und Wodka Orange und Sushi servieren.
HNS: „Sie sind die Kaiserin des Stylings, die mächtigste Frau der Optik…”
Grace: „Haben Sie die Schaufensterpuppen gesehen, alle mit meiner Frisur, alle mit roten Haaren?”
HNS: „Warum sehen Sie aus, wie Sie aussehen?”
Grace: „Was ist denn das für eine Frage?”
HNS: „Für ein deutsches Magazin.”
Grace: „Naja, also meine Haare…”
HNS: „Zum Beispiel. Und Sie tragen immer schwarz?“
Grace: „Das ist nicht schwarz, das ist Yamamoto. Yohji Yamamoto.”
HNS: „Sie können ja alles tragen, Grace.“ Und haben ja wirklich mit allen gearbeitet: David Bailey, Cecil Beaton, Guy Bourdin, Patrick Demarchelier, Peter Lindbergh, Steven Meisel, Sarah Moon, Sheila Metzner, Herb Ritts, Helmut Newton, Irving Penn, Paolo Roversi, Juergen Teller, Mario Testino, Ellen von Unwerth, Bruce Weber…”
Grace: „Und einige andere. Wie heißen Sie noch gleich?”
HNS: „Harald, Grace, wir kennen uns seit Jahren. Das heißt, ich kenne Sie, ach was, alle Welt kennt Sie!”
Grace: „Also, ,Für Harald?`”
HNS: „Zu gütig! Ach ja, der Mut in der Mode?”
Grace: „Mode ist Mut ist Mode.”
HNS: „Sie sind die Größte, Grace.”
Grace (lächelt): „Mit wem sprechen Sie noch? Mit Suzy?”
HNS: „Ja, auch eine mutige Frau in der Mode.”
Grace: „Gehen Sie zu Ralph? Und Adrover? Wir sehen uns, see you later.”
Ankunft bei Ralph Lauren. Normalerweise Prügelszenen auf der Straße, Madison Avenue 650, diesmal hat er ein Zelt hinter dem Cooper-Hewitt National Design Museum aufbauen lassen. Drinnen, im holzgetäfelten Entrée, werden Cocktails gereicht. Vorn, in der ersten Reihe, sitzt Suzy Menkes, die Modejournalistin der International Herald Tribune. Weithin zu sehen an ihrem Pouf, einer monströsen, aufgesteckten Locke.
HNS: „Mrs Menkes? Mut in der Mode? Mut zur Mode?”
Menkes: „Frauen-Designer respektieren endlich, dass ihre Schwestern ein Leben haben. Frauen, die sich selbst mit der Realität konfrontieren, statt ihr zu entfliehen.”
Die Show beginnt. Nach zehn Minuten ist alles vorbei.
HNS: „Ihr Urteil, Mrs. Menkes?”
Menkes: „Lauren zeigt, dass er ein Meister ist. Edwardianismus, finden Sie nicht? Brokat, Seide, Pink, Blau.”
Die New York Times wird am nächsten Tag mutig vom Ausbruch des Viktorianismus sprechen. Uptown, im Studio 54, ein paar Blocks weiter, kommen die Hilton Sisters des Wegs.
HNS: „Paris! Paris Hilton! Sie sehen ja phantastisch aus! Sie sind ein Vorbild für die wilden Teenies Europas! Und dieses Goldkreuz! Ist das ein T-shirt?”
Paris: „Ein Tank-Top, von Lloyd Klein. Ich modele gleich in seiner Show!”
HNS: „Wir können es kaum erwarten! Hier, meine Nummer, rufen Sie mich danach an. Wieviel Mut braucht die Mode, Paris?”
Paris: „Ich ruf Dich an. Mut? Ich mache, was ich will. Das vor allem.
Miguel Adrover, dreimal bankrott, jetzt unterstützt von einem großen deutschen Automobilhersteller, hat für mich einen Moment backstage:
HNS: „Miguel, Sie sind eines der New Yorker Enfants terribles. Sie gelten als Pulsgeber in Manhattan. Was ist für Sie Mode?
Miguel Adrover: „Es ist doch völliger Quatsch, wenn wir hier alle so tun, als gebe es nichts wichtigeres als Mode, als wäre uns nichts interessanter als die Saumlängen von Röcken — das ist doch nur ein Spaß der westlichen Welt. Mode ist etwas anderes für mich.”
HNS: Und was bedeutet für Sie Mode-Mut?“
MA: „Der Kundin zu vertrauen, das ist Mut. Die Kundin weiß schon, was ihr steht, ihrer Persönlichkeit, ihrem Körper. Die weiß es ganz genau, das ist Mut.“
HNS: „Sagen Sie, Miguel, Sie haben gerade einen Fotografen geschlagen und ihn aus dem Backstage-Bereich geworfen. Warum?”
MA: „Er hat gestört. Sie entschuldigen – ich muß mich jetzt um meine Show kümmern.”
HNS: „Natürlich. Sie heißt “Citizen of the World“ ?”
MA: „It’s about real life, the real world – about what is happening out there.“
HNS: „Natürlich! Mrs Menkes, was halten Sie davon?”
SM: „This collection was beautifully presented and wide ranging, as well as intellectually stimulating.“
HNS: „Aaaah so.“
Patrick Demarchelier taucht auf, der größte lebende Fotograf in New York.
HNS: „Du hier und nicht auf St. Barth?
PD: „So schöne Frauen hier, was soll ich da auf St. Barth?”
HNS: „Du hast immer noch langes Haar wie ein Fischer, so schön, und dein gegerbtes Gesicht passt immer. Deine Segeltuchschuhe, natürlich, sie sind am bequemsten…”
PD: „Du weißt doch, immer nur das bequemste. In allen Situationen. Denn mal stürmen russische Models dein Büro, mal mußt Du Deine Assistentin anschreien, mal kommt Sarajane Hoare nicht zu potte, mal Isabella Blow dazwischen.
HNS: „Ist sie denn hier, ich habe sie noch gar nicht gesehen in New York.”
PD: „Backstage bestimmt. Kann auch sein, dass sie London gar nicht verlassen hat. Die solltest Du mal zum Mut in der Mode fragen!”
HNS: „Aber jetzt habe ich ja erstmal dich hier.”
PD: „Also für mich ist das ganze sehr einfach: Alles, was auf dem Foto besser aussieht, sieht auch im wirklichen Leben besser aus, aber nicht alles, was fotografiert wird, kann man auch anziehen. Ich erwarte ja auch nicht von den Damen bei Renoir, dass ich sie so auf der Straße antreffe.”
HNS: „Oder nackt auf einem Baum, so wie Kate damals…”
PD: „Du meinst Claudia…”
HNS: „Nein, ich glaube es war Tatiana…”
PD: „Ist ja auch egal. Wie geht´s Isabella denn?”
HNS: „Tja, seitdem die Männer keine Angst mehr vor ihr haben…”
PD: „Du meinst, Karl hat ihr verziehen, dass sie ihm mit ihrer öligen Halskette den Teppich volltropfte?”
HNS: „Isabella hat es ja nicht böse gemeint. Als ich sie einmal fragte, warum sie aussieht, wie sie aussieht, war sie wie ein erwachendes Kind – sie wußte gar nicht, wovon ich rede. Isabella, sagte ich, darf ich fotografieren? Und sie sagte: Warum denn? Der Hut ist von Philip Treacy, das ist alles.”
PD: „Sie ist eine kluge Frau.”
HNS: „Wie fast alle im Mode business.”
PD: „They have to be.”

Jeremy Scott zeigt „Al Quaeda goes 1001 Nacht”.Seine Frauen haben leichte, bunte Schleier über fiktiv-dünnen Haremskörpern. Ob dies nicht reiche als Statement zum Mut in der Mode, läßt er von Backstage-Bereich aus fragen. Er habe zu viel zu tun. Zudem lässt er ausrichten, dass zuviele Menschen auf dem Planeten zu schlecht angezogen seien, die meisten aus Feigheit,etwas aus sich zu machen.

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