Der Hype im gegenwärtigen Kunstmarkt

Der Kunstmarkt ist zur Zeit voll gehypt, wie Calvin Tomkins im New Yorker festgestellt hat: Eine neue Gruppe amerikanischer und europäischer Sammler, viele von ihnen junge Hedge-Fonds Profiteure, haben Auktionspreise zu bislang nie erreichten, fast unvorstellbaren Höhen gebracht: Picassos „Junge mit der Flöte“ brachte 104 Millionen Dollar bei Sotheby´s im Jahre 2004, und der Willem de Kooning, den der Milliardär Steven A. Cohen gekauft hat, soll letztes Jahr für 143,5 Millionen den Besitzer gewechselt haben. Russische Oligarchen, mysteriöse Sammler aus Dubai, Hongkong, Singapur, Indien und Südkorea haben die Preise immer höher getrieben und bestätigt, dass der sich immer weiter ausdehnende Kunstmarkt eine globale Unternehmung geworden ist. Ein Grossteil des Geldes zentriert sich dabei auf zeitgenössische Kunst – einfach, weil Impressionisten, Post-Impressionisten und moderne Kunst immer seltener auf den Kunstmarkt kommen: Damien Hurst, Jeff Koons, Richard Prince, Takashi Murakami und andere gehören dabei zu den begehrtesten Künstlern. Allein Hirsts Leinwände konzentrischer Kreise, von denen der Künstler etwa 1000 produziert hat, bringen etwa 1,5 Millionen Dollar, und der Käufer kann damit rechnen, das selbe Werk einen Monat später für das doppelte zu verkaufen. Einer der Kenner dieser Entwicklung ist der private Kunsthändler Jeffrey Deitch, 55, aus New York: „Vor dieser Auktion hätten wir Basqiat mit fünf Millionen Dollar bewertet. Was ist passiert? Das Timing stimmt. Einige Leute im Hochpreisbereich suchen nach solchen Trophäen. Man denkt immer, es sei ein abstrakter Markt, aber tatsächlich geht es um individuelle Käufer.“ Der Kunstmarkt schlägt den Dow Jones – und macht viel mehr Spass. „Die Hedgefonds-Manager sind brilliant. Sie holen sich sehr professionelle Beratung, informieren sich über Wert, Herkunft, Zustand, meist über das Internet. Es stimmt, dass es einige Leute nur als Investment sehen, viele aber sind neugierig und halten Kunsterwerb für eine Teil des zivilisierten Lebens.“ Neil MacGregor, der Direktor des British Museum: „Wissen Sie, zum ersten Mal seit zweihundert Jahren hat der Westen keinen Einfluss mehr über die Zukunft des Kunstmarktes.“ Am 15. Mai diesen Jahres sah Deitch die Auktion bei Sothebys als wichtigen Wendepunkt an: „Viele dieser Zeitgenossen werden mehr bringen als irgendein Impressionist jemals“, sagte er, und er behielt Recht. Ein Rothko aus dem Besitz David Rockefellers brachte 72,8 Millionen Dollar. Ein Francis Bacon ging für 52,6 Millionen unter den Hammer, an einen Sammler aus dem Mittleren Osten, und verdoppelte den bisherigen Bacon-Record. Ein Basquiat brachte 14,6 Millionen, das Dreifache seines letzten Wertes, an einen Telefonbieter. Insgesamt erzielte Sothebys einen Auktionsgewinn von 344,6 Millionen, eine höhere Summe als die Impressionisten, die „nur“ auf 337,2 Millionen kamen. Christie´s erhöhte seinen Umsatz auf 477,8 Millionen, mit Werken von Warhol, Jasper Johns, Gerhard Richter und Damien Hirst: Der Star der Auktion war Warhols „Car Crash (Green Burning Car I)“, der für 71,7 Millionen Dollar nach Asien ging. Deitch: „Es ist faszinierend, dass der Warhol den selben Preis wie der Rothko erzielte und nun nach Asien geht.“ Tobias Meyer, der Sotheby´s-Experte für zeitgenössische Kunst kommentierte die Abwesenheit amerikanischer Bieter im Top-Level: „Wir haben den Kunstmarkt dieser Dekade nie richtig analysiert“, sagt er, „Russland, China, Teile des Mittleren Ostens sind inzwischen dabei.“

Sotheby´s begann den Markt für Zeitgenossen erstmals in den Siebzigern zu erkunden, bis dahin waren sie so gut wie nie verauktioniert worden. David Nash, damals Chef des Modern Art Department, sagt: „Bis dahin kaufte man bei den Galerien und wenn man das Werk wieder verkaufen wollte, erhielt man die Hälfte des geplanten Preises,“ In den Achtzigern wurden die Preise vom japanischen Markt bestimmt, nach einer längeren Phase der Stagnation: „Viel von dem ausgegebenen Geld war geliehen, die Japaner kauften wegen jedem möglich Grund, nur nicht, um es sich an die Wand zu hängen. Sie kauften, um die Bilder Politikern zu schenken, und Apartments mit einem Werk an der Wand konnte jeden Preis erzielen.“ Deitch: „Die Kunstwelt war damals viel kleiner…“ Als dann allerdings der japanische Immobilienmarkrt 1991 zusammenbrach, erwischte es auch die Preise der Julian Schnabels oder David Salles: Viele mussten unter Wert den Besitzer wechseln. Pollocks „Number 8, 1950“ konnte Deitch für 10 Millionen für seinen Kunden, die Hollywoodgrösse David Geffen erwerben. Geffen verkaufte das Werk vor kurzem für 52 Millionen an Steven Cohen: „Ich kenne einige Sammler die die Auktionskataloge als Definitionsgrundlage für zeitgenössische Kunst nehmen. Die Museen artikulieren sich da nicht richtig. Der Markt zeigt die Struktur auf and wenn man nach den führenden Künstlern fragt, heisst es ´wie hoch ist ihr Preis´?“ Der Manager Steven Cohen hat seit 2000 etwa für eine Milliarde Dollar Kunst gekauft – und sein Kollege Daniel Loeb besitzt unter anderem Arbeiten von Martin Kippenberger, Cecily Brown, Richard Prince, Peter Doig Mike Kelley, Kai Althoff. Deitch: „Loebs Verbindung mit seiner Kunst ist beispielhaft.“

Die Kunstwelt, so Deitch, habe sich von einer Community zu einer Industrie gewandelt: „Wir leben in einer zunehmend kultur-basierten Wirtschaftswelt, und der Wert der Kunst läuft mit anderen Investmentwerten wie Immobilien synchron. Und das weitestgehend unkonrolliert, wenn die Menschen zu jeder Investition bereit sind.“ Die Russen etwa kaufen momentan soviel, dass die Gebote in Dollar, dem englischen Pfund, Euro und Rubel über die Auktionspults projeziert werden. In Basel verkaufte Deitch von hundert mitgebrachten Arbeiten die Hälfte in den ersten drei Stunden nach Eröffnung der Schau.

Ein Höhepunkt dieser Entwicklung zum Hype dürfte der menschliche Schädel sein, den der Künstler Damien Hirst mit 8601 Diamanten besetzen liess – zu haben für fünfzig Millionen Pfund, laut Deitch ein „Phantastischer Publicity-Stunt.“ Nach vier Monaten, in denen der Schädel keinen Käufer fand, fand sich ein Syndikat, das bereit war, den Kopf zu kaufen. Hirst: „Wir werden den Brilliantschädel zwei Jahre lang durch Museen touren lassen und ihn dann um ein Vielfaches veräussern.“

Zum Vergleich: Eine Nackte von Gustave Courbet von 1865-66, die vielleicht die einzige in privater Hand, wird voraussichtlich drei bis fünf Millionen Dollar erzielen. Deitch: „Nun gut, es gibt Unbalanciertheiten im Markt. Macht ein Warhol für über 70 Millionen Sinn? Absolut. Kein anderer hat die zeitgenössische Kunst so beeinflusst wie er. Der Courbet ist ein wundervolles Bild. Vielleicht erwerbe ich es zu einem späteren Zeitpunkt“ Und: „Es gibt keinen Markt, der sich nicht irgendwann nach unten korrigiert.“ Zwei Dinge könnten passieren: Der Kunstmarkt bricht unter seinem eigenen Gewicht zusammen – wenn Werke zu hoch bewertet werden und keine Käufer finden, wird das zu Erschütterungen führen. Oder einige Hedgefonds kollabieren, was wahrscheinlicher ist. Und natürlich, wenn zuviele Käufer mit geliehenem Geld kaufen. Der Hype auf dem Kunstmarkt? Man darf gespannt bleiben…